Im Mittelpunkt des Beitrags steht Goethes Elegie "Euphrosyne", die als bislang unbeachtete Quelle unter denjenigen analysiert wird, die der Konzeption von Novalis' fünftem Nachthymnus am nächsten gestanden haben dürften. "Euphrosyne" ist als "poetischer Kenotaph" für Christiane Becker-Neumann (1778-1797), eine von Goethe protegierte Schauspielerin am Weimarer Theater, angelegt. Unter Einbeziehung der historischen Ereignisse des ‚Schicksalsjahres 1797‘, in dem nicht nur die Schauspielerin, sondern auch Novalis' Geliebte Sophie von Kuhn verstarb, untersucht der Beitrag die Rezeption des Goetheschen Textes durch Novalis, die er in Schillers "Musenalmanach" las. Im Rahmen seines poetischen Wettkamps mit Goethe übernimmt Novalis von dessen Elegie zentrale Elemente, allen voran die nächtliche, traumhafte Begegnung mit dem Verstorbenen, aber auch den Wechsel von Tag- und Nacht-Zeit, verwirft aber zugleich die von Goethe vertretene, antike Bewertung des Todes und der Rolle des Liedes als Spender der Unsterblichkeit. Diese antike Auffassung vom Tod und vom Gesang wird als mangelhaft und historisch überholt verworfen zugunsten eines Bekenntnisses zum Christentum und zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, die in der fünften Hymne vorgetragen wird. Sophie erlangt in den Hymnen nicht als antike Heldin, sondern als Christusfigur poetische Unsterblichkeit. Die Studie macht somit deutlich, dass die agonale Beziehung zu Goethe nicht nur den Roman Heinrich von Ofterdingen (als Versuch, den "Wilhelm Meister" zu übertreffen) betrifft, sondern bereits die "Hymnen an die Nacht" charakterisiert, die ebenfalls einen goetheschen Subtext besitzen.

„So sang das Lied dem traurigen Bedarfe. / Doch unenthräthselt blieb die ewge Nacht“. Novalis’ Hymnen an die Nacht und Goethes Elegie Euphrosyne. In: Jahrbuch der Deutschen Schillergesellschaft 66 (2022), S. 69–89.

Mario Zanucchi
2022-01-01

Abstract

Im Mittelpunkt des Beitrags steht Goethes Elegie "Euphrosyne", die als bislang unbeachtete Quelle unter denjenigen analysiert wird, die der Konzeption von Novalis' fünftem Nachthymnus am nächsten gestanden haben dürften. "Euphrosyne" ist als "poetischer Kenotaph" für Christiane Becker-Neumann (1778-1797), eine von Goethe protegierte Schauspielerin am Weimarer Theater, angelegt. Unter Einbeziehung der historischen Ereignisse des ‚Schicksalsjahres 1797‘, in dem nicht nur die Schauspielerin, sondern auch Novalis' Geliebte Sophie von Kuhn verstarb, untersucht der Beitrag die Rezeption des Goetheschen Textes durch Novalis, die er in Schillers "Musenalmanach" las. Im Rahmen seines poetischen Wettkamps mit Goethe übernimmt Novalis von dessen Elegie zentrale Elemente, allen voran die nächtliche, traumhafte Begegnung mit dem Verstorbenen, aber auch den Wechsel von Tag- und Nacht-Zeit, verwirft aber zugleich die von Goethe vertretene, antike Bewertung des Todes und der Rolle des Liedes als Spender der Unsterblichkeit. Diese antike Auffassung vom Tod und vom Gesang wird als mangelhaft und historisch überholt verworfen zugunsten eines Bekenntnisses zum Christentum und zur Lehre von der Unsterblichkeit der Seele, die in der fünften Hymne vorgetragen wird. Sophie erlangt in den Hymnen nicht als antike Heldin, sondern als Christusfigur poetische Unsterblichkeit. Die Studie macht somit deutlich, dass die agonale Beziehung zu Goethe nicht nur den Roman Heinrich von Ofterdingen (als Versuch, den "Wilhelm Meister" zu übertreffen) betrifft, sondern bereits die "Hymnen an die Nacht" charakterisiert, die ebenfalls einen goetheschen Subtext besitzen.
2022
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