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Beitrag in Festschrift

Die Geschichte der Gastwirtshaftung in Deutschland

MPG-Autoren
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Zimmermann,  Reinhard
MPI for Comparative and International Private Law, Max Planck Society;

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Zitation

Zimmermann, R. (2007). Die Geschichte der Gastwirtshaftung in Deutschland. In H.-P. Haferkamp, & T. Repgen (Eds.), Usus modernus pandectarum: Römisches Recht, Deutsches Recht und Naturrecht in der Frühen Neuzeit, Klaus Luig zum 70. Geburtstag (pp. 271-339). Köln: Böhlau.


Zitierlink: https://hdl.handle.net/11858/00-001M-0000-0019-CA51-2
Zusammenfassung
Das Symposium zu Ehren von Klaus Luig stand unter dem Leitmotiv „usus modernus pandectarum“. Mit diesem Begriff, so Luig in seinem Eintrag zum Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte, wird eine vom 16. bis zum Ausgang des 18. Jahrhunderts reichende Epoche der Rechtsgeschichte bezeichnet, in der eine konsolidierte Gemeinrechtswissenschaft entstand, die die bis heute wirksamen Grundlagen der Privatrechtsordnung gelegt habe. In diesem Sinne bildet der usus modernus auch vorliegend ein zentrales Bindeglied zwischen römischem Recht und moderner Rechtsentwicklung. Die Darstellung beginnt deshalb mit der Frage der Rezeption des einschlägigen Digestentitels 4, 9. Diese Frage wurde ganz überwiegend bejaht (dies gilt insbesondere für Johannes Schilter, den Luig als den eigentlichen Begründer des usus modernus betrachtet). Die strikte Haftung des Gastwirts wurde nach wie vor für sinnvoll gehalten, auch wenn man zunehmend erkannte, daß einer der sie ursprünglich tragenden Gründe (die improbitas cauponum) weggefallen war. Die Juristen des usus modernus beschäftigten sich mit Zweifelsfragen, die sich bei der praktischen Anwendung des receptum cauponum stellten: Unterfallen dem Begriff caupo auch diejenigen, die anläßlich großer Messen gelegentlich Messebesucher beherbergen oder die ein Zimmer an Studenten vermieten? Wie steht es mit den Betreibern von Garküchen? Von großer Bedeutung ist die Spruchpraxis der juristischen Fakultäten; im vorliegenden Zusammenhang werden Helmstedt, Wittenberg, Tübingen, Göttingen, Jena und Leipzig zitiert. Der Kreis der wissenschaftlichen Autoritäten, die bei der Argumentation Berücksichtigung finden können, ist weder zeitlich noch territorial beschränkt, auch wenn sich bereits Anzeichen der von Klaus Luig beschriebenen nationalen Differenzierung des europäischen Gemeinrechts erkennen lassen. Mit rein begrifflichen, praktisch offenbar als irrelevant erachteten Fragen hält man sich nicht lange auf (was ist der Unterschied zwischen casus fortuitus, damnum fatale und vis major?) oder läßt sie letztlich unentschieden (ist die receptum-Haftung vertraglicher oder quasi-vertraglicher Natur?). Andererseits kommt es aber auch nicht zu großen theoretischen Neuansätzen. So schleppte sich insbesondere die konzeptionell unbefriedigende und an einem unaufgelösten inneren Widerspruch leidende Diskussion um die culpa levissima weiter dahin, auch wenn sich zunehmend die Erkenntnis durchsetzte, daß es sich hier nicht wirklich um einen Verschuldensmaßstab handelte. Offenbare Widersprüche in den Quellen wurden auf eine etwas biedere, schon im 19. Jahrhundert nicht mehr als überzeugend empfundene Weise aufgelöst. Intensiv diskutiert wurden Fragen des Haftungsausschlusses, darunter etwa diejenige, ob mit der Übergabe des Zimmerschlüssels an den Gast ein stillschweigender Haftungs¬ausschluß verbunden war. Eine wichtige Rolle spielten ferner Beweisprobleme in Fällen, in denen dem Gast Sachen gestohlen worden waren, die er in verschlossenen Behältnissen (etwa: einem Koffer) in das Gasthaus eingebracht hatte. Bewahrt wurde während des usus modernus die Einheitlichkeit der Behandlung aller drei nach römischem Recht von der receptum-Haftung erfaßten Berufsgruppen. Besonders virulent war in diesem Zusammenhang freilich die vieldiskutierte und kontrovers beurteilte Frage einer teleologisch begründeten Erstreckung des besonderen Haftungsregimes auf den Landtransport. Zugrundegelegt wurde der vorliegenden Darstellung das konventionelle Datierungsschema: 16.-18. Jahrhundert, 19. Jahrhundert, BGB und 20. Jahrhundert. Es wird freilich deutlich, daß der Stil des usus modernus in Rechtsprechung und Rechtswissenschaft in Deutschland noch bis weit in das 19. Jahrhundert hinein lebendig blieb. Das gilt sogar noch für die beiden großen Abhandlungen von Carl Weis und J.A. Gruchot von 1868 und 1874. Freilich war zu diesem Zeitpunkt bereits die durch das Edikt begründete Einheitlichkeit der Behandlung von nautae, caupones und stabularii gesprengt worden. Da ein Bedürfnis für eine besondere Stallwirtshaftung offenbar kaum noch bestand und die Haftung von Transportunternehmern gesetzlich geregelt worden war, beschränkte sich die gemeinrechtliche receptum-Haftung gegen Ende des Jahrhunderts praktisch auf den Gastwirt. Sie geriet damit unter den Druck des (jedenfalls in der Doktrin) auf breiter Front im Vordringen befindlichen Verschuldensgrundsatzes und wurde vielfach als eine Anomalie empfunden. Levin Goldschmidts große Abhandlung zur receptum-Haftung erschien im Vorfeld der gesetzlichen Regelung des Frachtrechts im ADHGB. Sie bemühte sich im Grunde um eine Einebnung von Verschuldenshaftung und Haftung ex recepto. Erst damit sowie mit der ebenso bedeutenden, auf Goldschmidt reagierenden Schrift von Adolf Exner und dem durch diese Schrift ausgelösten Streit um den Begriff der höheren Gewalt „im römischen und heutigen Verkehrsrecht“ wird ein vertieftes geschichtlich-dogmatisches Interesse erkennbar; erst damit also kommt der auf Savigny zurückreichende Neuansatz in diesem Bereich zum Tragen. Im übrigen, und sogar vermehrt, waren Literatur und Rechtsprechung auch im 19. Jahrhundert mit Fragen des Haftungsausschlusses oder der Haftungsbeschränkung befaßt. Diese Einschränkungen wurden als Korrelat der strikten Gastwirtshaftung verstanden und dienten dem Schutz des Gastwirts vor unbilligen Härten. Das ist ebenso zeittypisch wie die verstärkten, aber letztlich inkonklusiven Debatten um die „Natur“ oder den „juristischen Charakter“ der receptum-Haftung. Schließlich sei am Rande angemerkt, daß das Inkrafttreten des BGB ebenso wenig einen Wendepunkt der Rechtsentwicklung bedeutete wie der Beginn des 19. Jahrhunderts. Die gemeinrechtliche receptum-Haftung wurde kodifiziert, und über den Begriff der höheren Gewalt einigten sich Wissenschaft und Praxis „in fortschreitender Entwicklung“ pragmatisch auf einer mittleren Linie. Auch die alte Kontroverse über die Rechtsnatur der Gastwirtshaftung lebte fort; erst mit der zunehmenden Anerkennung des Phänomens einer Schadenshaftung außerhalb der etablierten Kategorien von Vertrag und Delikt setzte sich die Ansicht durch, daß es sich um eine Haftung ex lege handelt. Hatte im 19. Jahrhundert die Frage eines Haftungsausschlusses durch Aushang eine zentrale Rolle gespielt, so wurde im 20. Jahrhundert eine Freizeichnung durch einen vom Gast zu unterzeichnenden Hotelrevers üblich. Eine signifikante Zäsur bildete insoweit erst ein Reformgesetz von 1966, durch das aus der grundsätzlich unbeschränkten, aber abdingbaren eine grundsätzlich beschränkte, aber unabdingbare Haftung wurde.