Wenzel, Michael: Zellulär auflösende Bildgebung pathologisch transformierter kortikaler Netzwerke in vivo. - Bonn, 2022. - Habilitation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-67830
@phdthesis{handle:20.500.11811/10219,
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title = {Zellulär auflösende Bildgebung pathologisch transformierter kortikaler Netzwerke in vivo},
school = {Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn},
year = 2022,
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note = {Lorente de Nó, ein Schüler des wegweisenden Neuroanatoms Santiago Ramón y Cajal, hypothetisierte in den 1930er Jahren, dass statt einzelner Neurone die kooperative Aktivität afferenter Gruppen von Neuronen eine Antwort in Effektorneuronen auslöse. Spätestens seit Donald J. Hebb 1949 diese Neuronen-verbände in seinem Werk The Organization of Behavior als cell assemblies („neuronale Ensembles“) bezeichnete und postulierte, dass diese das Grundelement kognitiver Prozesse darstellten, gehört die Identifikation und Charakterisierung neuronaler Ensembles zu einer Hauptambition der Neurowissenschaft.
Zur empirischen Erforschung neuronaler Ensembles bedarf es Techniken, die die Erfassung der Aktivität lokaler Neuronenverbände mit zellulärer Auflösung im intakten Gehirn erlauben. Für den Hauptteil des 20. Jahrhunderts aber standen ausschließlich elektrische Einzelzellmessungen (z.B. Patchclamp Technik) oder makroanatomische Messmethoden wie EEG oder fMRT, welche hirnweite neuronale Netzwerkdynamiken erfassen, zur Verfügung. Das Aufkommen hochauflösender Mikroelektroden-Arrays (MEAs) und Bildgebungsverfahren, insbesondere der Zwei-Photonen-Mikroskopie, ermöglichte in den 1990er Jahren plötzlich die direkte Aufzeichnung neuronaler Ensembleaktivität. Seither steigt die Zahl experimenteller Studien, die die Relevanz neuronaler Ensembles in kognitiven Prozessen unterstreichen, stetig an. Auch erscheint zunehmend wahrscheinlich, dass pathologisch transformierte neuronale Ensembles in vielen neurologischen und psychiatrischen Erkrankungen eine tragende Rolle innehaben. Dieser Habilitationsschrift liegen 5 wissenschaftliche Arbeiten zugrunde, die durch kombinierte in vivo 2P-Mikroskopie und Elektrophysiologie Mikro-netzwerkdynamiken während der epileptischen Anfallsentstehung und -ausbreitung sowie des medizinisch induzierten Bewusstseinsverlusts untersuchten.
Im Kontext einer seit Jahren bestehenden Debatte über interiktuale und iktuale Rekrutierungsmuster lokaler Neuronenverbände wurde hier gezeigt, dass diese in substantiellem Maße verlässlich in einer relativen zeitlichen Ordnung und in räumlichen Clustern zu epileptischen Anfällen rekrutiert werden. Unter Wahrung dieser relativen Rekrutierungsstruktur zeigte sich jedoch von Anfall zu Anfall nach absoluten Zeiteinheiten eine Dehnung oder Kompression der zeitlichen Abfolge neuronaler Rekrutierung im Bereich von Sekunden. Diese „elastische“ Rekrutierung hing dabei kritisch von der lokalen Aktivität kortikaler Interneurone ab, da deren Kompromittierung in massiv gesteigerter interiktualer und iktualer Rekrutierung primär extrafokaler Neurone sowie enormer Beschleunigung und zeitlicher Uniformität dieser Rekrutierung resultierte. Durch Kombination von 2P-Mikroskopie, LFP und Nanosharp-Einzelzell-ableitungen konnte in vivo gezeigt werden, dass Parvalbumin positive Interneurone zeitgleich mit der lokalen iktualen Invasion neuronaler Zellverbände in einen Depolarisationsblock eintreten. Desweiteren wurden differentielle Netzwerkdynamiken während der Anfallsentstehung und -ausbreitung in vivo identifiziert. Bereits vor feldelektrographischer Detektion eines Anfalls fanden sich optisch innerhalb der Anfallsursprungszone Dynamiken lokaler Neuronenverbände auf kleinstem Raum (z.B. < 100 x 100 µm), die iktuale Merkmale, also pathologisch erhöhte Aktivität, Synchronität sowie räumliche und zeitliche Signalevolution aufwiesen. Durch die hohe räumliche Auflösung und Aufzeichnungsdichte erlaubten die Ergebnisse erstmals eine empirische Rekonstruktion und Charakterisierung der fokalen Anfallsevolution auf mikro-anatomischer Ebene, vom intrafokalen Ursprung bis zur extrafokalen Propagation.
Mit Hilfe derselben Techniken wurden in zwei weiteren Arbeiten funktionelle und strukturelle Mikronetzwerkdynamiken während des medizinisch induzierten Bewusstseinsverlusts bzw. Komas (mLOC, MIC) untersucht. Entgegen der verbreiteten Annahme des Bewusstseinsverlustes durch Zusammenbruch makroanatomischer Konnektivität wurde, basierend auf informationstheoretischen Konzepten, ein möglicher mikroanatomischer mLOC Mechanismus identifiziert. In Mäusen (2P-Mikroskopie) und menschlichen Patienten (MEA) wurde eine anästhesie-tiefenabhängige reversible Reduktion des Repertoires lokal unterscheidbarer neuronaler Populationsaktivitätsmuster festgestellt, sowie ein Zerfall neuronaler Ensembleaktivität hin zu Einzelneuronaktivität. Beides spricht für eine mögliche Rolle lokaler Ensembles im mLOC, da derartige Aktivitätsmuster essentiell für eine effiziente und sinnvolle Aktivierung nachgeschalteter neuronaler Gruppen im kognitiven Prozess darstellen. In der letzten hier vorgestellten Studie konnte unter Vollausschöpfung der räumlichen Auflösung der 2P-Mikroskopie erstmals eine altersunabhängige Verknüpfung zwischen pMIC-assoziiertem kognitiven Defizit und einer hiermit korrelierenden, nachhaltigen Veränderung der - ehemals als im Erwachsenenalter stabil erachteten - synaptischen Architektur des Gehirns nachgewiesen werden
Alle dieser Habilitationsschrift zugrundeliegenden Publikationen zeichnen sich durch die Kombination zellulär auflösender optischer und elektrophysiologischer Messmethoden im intakten Gehirn aus. Sie illustrieren die technischen Fortschritte der letzten Jahre, insbesondere im Bereich der Optik, Elektrophysiologie, Molekularbiologie und Computertechnologie, welche die experimentelle Erforschung grundsätzlicher Mechanismen pathologisch transformierter lokaler Neuronenverbände in beispielloser Weise möglich gemacht haben.},

url = {https://hdl.handle.net/20.500.11811/10219}
}

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