El Berr, Sandy: Wer sind hier die Experten? : Lokales Wissen und interkulturelle Kommunikation in Entwicklungsprojekten mit Indigenen Ecuadors. - Bonn, 2009. - Dissertation, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn.
Online-Ausgabe in bonndoc: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-18394
@phdthesis{handle:20.500.11811/3975,
urn: https://nbn-resolving.org/urn:nbn:de:hbz:5-18394,
author = {{Sandy El Berr}},
title = {Wer sind hier die Experten? : Lokales Wissen und interkulturelle Kommunikation in Entwicklungsprojekten mit Indigenen Ecuadors},
school = {Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn},
year = 2009,
month = sep,

note = {Ausgangspunkt der ethnologischen Studie ist die Frage nach der Anwendung lokalen Wissens (in Plural) in Entwicklungsprojekten mit indigenen Gemeinden der Shuar und Achuar und ihren Einflussfaktoren. Die Frage wird anhand einer Fallstudie in Ecuador mit Schwerpunkt auf der Amazonasprovinz Morona Santiago als multi-sited ethnography untersucht.
Lokales Wissen wird als Resultat von Interaktionen, komplexen Verhandlungspraktiken und Anpassungen zwischen verschiedenen Akteuren und ihren Lebenswelten verstanden, denn in der Entwicklungszusammenarbeit handelt es sich weniger um einen unidirektionalen Wissenstransfer von ‚Experten’ zu ‚Zielgruppen’, sondern um situative Aushandlungspraktiken am knowledge interface. Dabei wird das Wissen aller Beteiligten jeweils ‚übersetzt’ und transformiert. Die Verknüpfung lokalen Wissens mit der interkulturellen Kommunikation ist in dem Aushandlungscharakter des Wissens begründet, denn die Wahrnehmung, Aushandlung und Anwendung lokalen Wissens (in Plural) wirft Fragen nach seinen Inhalten und Trägern sowie Eigen- und Fremdwahrnehmungen auf.
Es wird aufgezeigt, dass sich der Terminus lokales Wissen im Kontext der praktischen Entwicklungszusammenarbeit nur bedingt eignet. Als besser operationalisierbar hingegen erscheint das Konzept projektrelevantes Wissen. Im Falle der untersuchten Akteure treffen unterschiedliche Wissenskonzepte aufeinander, was den Beteiligten häufig nicht bewusst ist. Weiterhin werden die sogenannten Entwicklungsexperten, also die studierten nationalen und internationalen Fachkräfte, vom indigenen Projektpersonal und den ‚Zielgruppen’ nicht automatisch als Experten anerkannt. Vielmehr erwarten diese bedürfnisorientierte, auf spezielle Bereiche bezogene und relativierte Expertise im Sinne einer Ergänzung. Mit relativiert ist die Lokalisierung des von den Entwicklungsakteuren eingebrachten Wissens gemeint.
Wissen kann nicht transferiert oder abgefragt werden. Im Kontext interkultureller Wissensgenerierung ist eine Wissenskombination, die sinnvoll für Entwicklungsmaßnahmen eingesetzt werden kann und die Überlappungen in den zunächst unterschiedlichen Auffassungen von projektrelevantem Wissen impliziert, nur über gemeinsame und gegenseitige Lernprozesse (als Handlungspraxis) möglich. Die Reichweite der Lokalisierung des Wissens der Entwicklungsakteure ist also von dieser Art von Lernprozessen abhängig. Ob Lernprozesse stattfinden, hängt nicht nur vom Willen der Entwicklungsakteure ab, sondern auch dem der knowledge broker und ‚Zielgruppen’. Damit ist die Beziehungsgestaltung zwischen verschiedenen Akteuren angesprochen und im Zuge dessen auch Alteritätskonstruktionen und Grenzziehungen. Diese stehen aber nicht nur im Zusammenhang mit Machtansprüchen, Gegenstrategien und Wissenskonzepten, sondern finden auch auf der emotionalen Ebene statt und werden von Zufällen und der Dynamik zwischenmenschlicher Beziehungen mitgestaltet.
Es ist das Paradox festzustellen, dass viele der befragten Entwicklungsakteure zwar modernisierungstheoretische Parameter von ‚Entwicklung’ dekonstruieren, die dem Entwicklungsbegriff zugrunde liegende Annahme von der Überlegenheit ‚westlichen’ beziehungsweise ‚wissenschaftlichen Wissens’ aber nicht reflektieren und in Frage stellen. Die von den ‚Zielgruppen’ hingegen geäußerte Präferenz lokaler Kompetenzen in bestimmten Situationen impliziert die Anfechtung wissenschaftlichen Wissens als universell gültig und anwendbar. Die Einbeziehung lokalen Wissens ist nicht zuletzt mit der Forderung nach verstärkter Kontrolle der ‚Zielgruppen’ und des indigenen Projektpersonals, also ‚Machtabgabe’ der Entwicklungsakteure, verbunden. Die Debatte um das augenscheinlich neutrale Konzept lokales Wissen entwickelt sich zur Plattform für die Auseinandersetzung um Ansehen und Kompetenzen (‚Wer ist der Experte?’) sowie für die Durchsetzung bestimmter Interessen. Denn Wissen ist Macht. Die Aufrechterhaltung epistemischer und konzeptioneller Grenzen ist vor allem auf ihren Symbolgehalt und demzufolge ihren strategischen Nutzen zurückzuführen, dessen sich alle involvierten Akteure mit unterschiedlichen Zielen zuweilen bedienen. Letztlich wird die gängige Annahme externer Dominanz in dieser Fallstudie nicht bestätigt. Vielmehr ist Macht diffus verteilt und situativ.},

url = {https://hdl.handle.net/20.500.11811/3975}
}

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