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1. Deutscher Geist und deutsche
Sprache. Ihre umgekehrte Entwickelung. Einheit der Sprache mit der Individualität. Vergebliche Versuche einer allgemeinen Sprache. Auf der
Individualität ruht alle Kunst der
Darstellung ...
S. 1–16.
2. Verhältniß von Sprache und Ge
danke. Wilhelm von Humboldt. Die Poesie der Sprache. Bildliche oder etymologische Bedeutung der Wörter. Graff. Grammatisches Ideal. Die Akademieen. Muhamedanische Sprachgesetzgebung. Leibnitz über die Wirksamkeit der Akademieen. Klopstock's Gelehrten-Republik. Verhältniß des Staats zur Literatur. Wünschenswerther Spielraum akademischer Beaufsichtigung in einigen Fällen. Ein Wort von Böckh. Ideal aller Sprache
und Darstellung ist bloß der Ge
danke. Philosophie des Stils ...
S. 17–39.
Poesie und Prosa. Ursprünglichkeit der Poesie. Entstehung des Metrums aus dem Satze. Höchste Entwickelung des Satzes in der Prosa. Neigung der neuern Literatur zur Auflösung der Poesie in die Prosa. Verhältniß des poetischen und prosaischen Sprachgebrauchs in den antiken und in den modernen Sprachen. Die geistige Bedeutung des Accents in den modernen Sprachen und deren Vortheile für die Prosa. Ein Wort des Grafen Schlabrendorf. Ob die deutsche Sprache früher das Gesetz der Quantität besessen. Verfall der heutigen deutschen Metrik. Neueste Lyrik nähert sich in Heine u.A. dem Numerus der Prosa an. Aufhebung der Schranke zwischen Poesie und Prosa. Hippel's scherzhafte Theorie von Poesie und Prosa. ...
S. 40–48.
4. Allgemeiner Charakter der deut
schen Prosa. Nachtheile ihrer gelehrten und wissenschaftlichen Entstehung. Mangel gesellschaftlicher Anlässe. Schreibsprache des gemeinen Mannes in Deutschland. Das latinisirende Wesen des deutschen Stils. Cicero und Ta
citus haben eine literarische Bedeutung für die deutsche Prosa. Der ciceronische Schematismus und sein nachtheiliger Einfluß auf die deutsche Schreibart. Boccaccio als Vermittler der ciceronischen Prosa mit den modernen Literaturen. Stil und Charakter des Tacitus. Ob die tacitische Schreibart eine Stufe des Verfalls bezeichnet. Die dichterischen Elemente seiner Sprache und Schreibart. Einfluß auf deutsche Schriftsteller. Die Diction des Tacitus ein uns verwandter Typus. Ob es ein Muster der Schreibart giebt. Ein Wort Wilhelm von Humboldts über die höchste Vollendung des Periodenbaus im Griechischen ...
S. 49–67.
5. Die Prosa der deutschen Conver
sation. Heimischer Gesellschaftszustand. Die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache. Flüchtiger Küchenzettel einer normalen Unterhaltung mit allen ihren grammatischen selig. Deutsche Gesellschaft und deutsche Sprache. Gesellschaftlicher Gebrauch der französischen Rede in Deutschland. Hang zur Sprachmengerei in der heutigen deutschen Umgangssprache. Die Werke des Fürsten Pückler im modischen Salonstil. Berliner Conversationston in Rahel's Briefen. Grundprinzip der deutschen Höflichkeit. Gesellschaftlicher Gebrauch der Pronomina und Geschichte desselben. Du bis ins funfzehnte Jahrhundert gebräuchlich. Ihr als vornehmere Anrede. Er im sechszehnten und siebzehnten Jahrh. Uebergang in die dritte Person der Mehrheit: Sie. Bedeutsamkeit der Anrede in der Mehrheit. Rückblick auf die Höflichkeit der Römer. Abstracte Sammelbegriffe: Euer Liebden, Euer Gnaden u.s.w. Briefstil. Beeinträchtigung der Umgangssprache durch den vorherrschend geistigen Charakter der deutschen Sprache. Trennung der intellectuellen Anschauung und der populairen Umgangssprache in Deutschland. Die französische Sprache kennt diesen Unterschied zwischen populairem und ideellen Ausdruck nicht. Verhältniß der deutschen Sprache zum wirklichen Leben, im Widerspruch mit einer Bemerkung von Leibnitz. Ein Wort Karl's V. über die deutsche Sprache. Weltliterarischer Verkehr der deutschen Sprache. Schönere Perspectiven für unsere Gesellschaftssprache. Die verschiedenen Perioden des Conversationstons. Die geistreiche Manier des gegenwärtigen Umgangs. Sociale Einflüsse auf die Sprache, in Deutschland und Frankreich. G. Sand ...
S. 68–103.
6. Satzbildung ist das gestaltete
Leben des Gedankens. Lange Perioden. Menschlicher Gehörsumfang. Pausen des Gedankens. Verschiedene Tonarten der Darstellung, langsame und schnelle, epische und drastische. Unterschied der französischen und deutschen homerischen Genitive. Voß, Bürger und Klopstock. – Einheitlichkeit der
Scene im Satze. Einschachtelungsmanier. Zwischensätze. Athemabtheilung des Gedankens. Französirender Stil bei einigen neueren Schriftstellern ...
S. 104–115.
7. Schönheit der Prosa. Rhetorischer Charakter der bisherigen Stillehre. Veraltete Klingprosa. Gefallsucht des Stils. Ob die Vollendung des Stils in der Wahrheit oder in der Schönheit beruht? Die Phantasie als Element der Satzbildung. Der Stil die Plastik des Denkens. Der Satz ein vollständiger Lebensorganismus. Situation
von Subject und Prädicat. Der Stil ist die Sache. Subjektivität des jean-paul'schen Stils. Verschiedener Tonfall der Schreibart zu verschiedenen Epochen. Numerus der Prosa. Der Rhythmus im Verhältniß zur Dialektik des Gedankens. Arsis und Thesis des Satzes, Hebung und Senkung des Gedankens. Die rhythmische Absichtlichkeit widerstrebt dem geistigen Charakter der Prosa. Nachahmungen des oratorischen Numerus bei Cicero. Wohllaut der Prosa. Eigenthümlichkeit der englischen Satzbetonung. Französische Prüderie des Wohlklangs. Eine Lächerlichkeit von Rousseau. Die rauhen Noten in der deutschen Sprache ...
S. 116–129.
8. Correctheit des Stils. Gleichniß mit der Tugend. Französischer Gartengeschmack. Tadelhaftes Bestreben nach Deutlichkeit der Schreibart. Correctheit der Beiwörter. Katachresen. Ob laute Thränen weinen, eine Katachrese sei? Andere Beispiele: amorous sojourn, aus Shakspeare; ver
liebte Grillen; wohlschlafende
Nacht; Schiller's vorhabende Spazier
fahrt im Geisterseher.
S. 130–137.
9. Verhältniß von Poesie und Prosa
in der heutigen modernen Litera
tur. Uebergang der Literatur in die Prosa. Ob das Poetische der heutigen Prosa eine Entartung derselben? Wendung der Untersuchung zur Ge
schichte der Diction. Verlorengegangene Einfachheit der Schreibart. Einflüsse der Bildung und Richtung jeder Zeit auf den Stil. Schriftsteller der geistreichen Diction. Geistreichheit der Beiwörter. Bürger gegen Klopstock hinsichts der poetischen Behandlung der Sprachformen. Klopstock über prosaische und poetische Wortstellung. Der Inhalt, als Meister des Stils,
setzt der Diction allein Gränzen. Der Stil des Inhalts. Der Stil, und der Griffel der Weltgeschichte ...
1. Die Bibel und die Canzlei als die beiden hauptsächlichsten Lebensquellen deutscher Sprache und Darstellung. Mischung von Canzleiton und Bibelsprache, wichtig für die Gestaltung der ersten Prosa. Verhältniß der deutschen Sprache zur Kirche: ihre erste Bildungsstufe im carolin
gisch-fränkischen Zeitalter. Latinisirende Wendungen und Nachahmungen unter Karl dem Großen. Lateinisches Element der christlichen Kirche. Alle Vortheile der antiken Constructionen in der ältesten Gestalt unserer Sprache. Proben der damaligen Diction. Zeitalter der schwä
bischen Kaiser. Sprachfrühling der deut
schen Canzleisprache, die ersten Anfänge einer prosaischen Gesammtspra
che für die Nation. Provinzielle Zersplitterung der Dialekte. Oberdeutsch und Niederdeutsch. Sachsen- und Schwabenspiegel. Das Zeitalter
der Prosa regt sich in der Sprache
wie in den Zuständen. Veränderungen der Sprache. Erste Gegenüberstellung von Poesie und Prosa. Romantische Prosa der Volksbücher ...
S. 145–164.
2. Einfluß der Mystik auf die Bil
dung der Prosa. Johann Tauler, der Minnesänger der Prosa. Erste Anregung des speculativen Wesens der deutschen Sprache. Die Sprache der mystischen Anschauung. Gestaltung der ersten Prosa, die der Poesie ebenbürtig. Geistige Bildung des Publikums zu Tauler's Zeit. Tauler's Sprache. Wörter mit den Endsylben keit und heit. Neue Wortschöpfungen der Mystik. Der doppelte Text der Tauler'schen Predigten. – Die Nonne Maria Ebnerin, und ihr geistliches Liebesverhältniß mit Heinrich von Nörd
lingen. – Otto von Passau's güldener Thron. – Philosophische Ausdrucksfähigkeit der damaligen Sprache. Eine theosophische Abhandlung aus dem vierzehnten Jahrh. – ... S. 165–178. Mittheilung aus einer Predigt von Tauler: das
Joch Christi ...
S. 179–187.
3. Ausdruck des städtischen und
wirklichen Lebens im funfzehnten
Jahrhundert. Johann Nothe's thüringische Chronik. Die baierische Chronik Johann
Thurmayers, genannt Aventinus. Diebold
Schilling's Chronik der burgundischen Albrecht von Eybe's Ehestandsbuch. Mittheilungen daraus. – Barocker Mischcharakter des Jahrhunderts, in seiner Schreibart abgeprägt. – Geyler von Kaysersberg. – Welthistorische Elemente des funfzehnten Jahrhunderts. – Bedürfniß einer allgemeinen Schriftsprache. ...
S. 188–203.
4. Bildung der neuhochdeutschen
Gesammtsprache. Oberdeutsch und Niederdeutsch. Erste Vermischung der Mundarten in der Canzleisprache des deutschen Reichstags. Luther, Gesetzgeber und Re
formator der neuhochdeutschen
Gesammtsprache. Anknüpfung seiner Bibelsprache an die sächsische Canzlei. Die deutsche Bibel als Volksbuch. Vergleich ihres Einflusses mit dem homerischen Epos. Einwirkung der deutschen Bibelsprache auf die Sprachvereinigung aller Stämme. Luther's Bibeldiction färbt das deutsche Privatleben. – Das Neuhochdeut
sche als der protestantische Dia
lekt. Wirkungslosigkeit der katholischen Bibelübersetzungen. Der protestantische Dialekt dringt auch in den Katholizismus ein. Unterschied der Bibelsprache Luther's von seinen katholischen Vorgängern, an einer Gegenüberstellung Luther's und Otmar's gezeigt. – Allmählige Entstehung der Bibelübersetzung Luther's. Seine Sprachbemühungen, sein Zurückgehen auf Ausdrücke des wirklichen Lebens. Das Grammatische in der Sprache Luther's. Frühere Hinneigung bei ihm zum Oberdeutschen. Seine Verwandelung oberdeutscher Laute und Flexionen in sächsische. Luther kennt das Wort Körper noch nicht. Geist in der mystischen Terminologie. Beziehung der Stände in Luther's Bibelsprache. Benennung des weiblichen Geschlechts, Magdthum, Magd, Jung
frau, Mägdlein, Dirne, Weibsbild. Vorschlag zur Ausrottung der Frauenzim
mer. – Das Dichterische in der luther'schen Bibelsprache. Einheit von Poesie und Prosa, als Grundlage der neuhochdeutschen Gesammtsprache, die aus der Bibelsprache hervorging.
S. 204–239.
5. Die Reformation macht die Ver
einheitlichung der deutschen
Mundarten zu einer geschichtli
chen Thatsache. Literarischer Gesammtdialekt. Die neuhochdeutsche Verschmelzung des Ober- und Niederdeutschen als Grundlage der Prosa. Ueber die literarische Anwendbarkeit der Dialekte. Gebrauch der verschiedenen Mundarten in der griechischen Tragödie, im indischen Drama, italienischen Lustspiel und bei Shakespeare. Deutsche Mundarten auf Volkstheatern und in Volksliedern. Ueber künstliche Versuche zur Wiederbelebung der deutschen Dialekte. Sprachschatz der deutschen Nation in der Sprüchwörtersammlung des Johannes Agricola. – Bildung der philosophischen Diction durch Sebastiang
Franke. Proben aus seinen Schriften. Anmerkung über die ursprüngliche Bedeutung des Wortes Anmuth. – Die Bildung der deutschen Künstlersprache in Albrecht Dürer's Werken. – Johann Fischart und die Sprache des deutschen Volkshumors. Proben seiner Diction. Fischart als Vater des deutschen Hexameters. – Einfluß der Reformation und der theologischen Polemik auf die Sprache, namentlich auf die prosaische Satzbildung ...
S. 240–266.
6. Siebzehntes Jahrhundert. Allgemeine Bemerkung über die Schwankungen der deutschen Culturgeschichte. Leibnitz die Sprachverwirrung seines Jahrhunderts schildert. Leibnitzens Stellung zur Sprache. Die Trennung der Stände spaltet sich auch in verschiedene Organe der Sprache. Die deutsche Aristokratie drückt sich französisch aus. Das Latein als vornehmes und privilegirtes Organ für die deutsche Wissenschaft. Deutsche Dichter in lateinischen Versen. Jacob Balde's lateinische und deutsche Poesieen. Das Deutsche erhält sich zu dieser Zeit im Munde des Bürger- und Handwerkerstandes und bildet sich hier für das praktische Leben. Barocke Vermischung aller dieser Sprachelemente im Umgangsleben dieses Jahrhunderts. Mittelstellung Leibnitzens in den Verhältnissen dieses Jahrhunderts. Als Weltmann und Gelehrter bedient er sich des Lateinischen und Französischen zugleich, als Patriot sucht er auf die Muttersprache zu wirken. – Nachtheile der Französirung des deutschen Idioms in grammatischer Hinsicht. – Die philosophische Prosa Jacob Böhme's in den Verhältnissen dieser Zeit. – Erste nationale Rückbewegung durch Christian Thomasius, der das Deutsche wieder zum Organ der deutschen Wissenschaft zu erheben sucht. – Einwirkung der Wolfischen Philosophie auf die deutsche Sprache und die Bildung der Prosa. Die faßliche und logische Behandlung der deutschen Schreibart wird durch sie angeregt. – Die productive Literatur dieses Zeitraums. Martin
Opitz. Er begründet die Herrschaft der Correctheit in der deutschen Darstellung. Sein Studium der älteren deutschen Sprachquellen. Neue Wortbildungen und Zusammensetzungen in seinen Schriften. Opitzens Verdienste in der Prosa. Sein Aristarchus. Eine Stelle daraus über den Zustand der deutschen Sprache. Der Canon des opitzischen Geschmacks in seiner Abhandlung von der
deutschen Poeterei. Bemerkungen daraus über Reinheit Die Sprachgesellschaften
des 17. Jahrhunderts. Ihre Wirkungslosigkeit für die deutsche Literatur. Versuch, durch dieselben die Stände wieder anzunähern. Der Satiriker Schuppius über die Bestrebungen dieser Gesellschaften. Grammatische Anregung der deutschen Sprache durch die literarischen Gesellschaften. Lexicalische und grammatische Arbeiten von Schottel und Stieler. Trennung von
Poesie und Prosa in diesem Jahrhundert. Die Poesie hat in der Metrik feste Schranken angenommen. Der Prosa fehlt das höhere gesellschaftliche Bedürfniß. Serviler Charakter der damaligen Schreibart. – Die zweite schlesische Dichterschule. Sie trägt dazu bei, die Trennung von Poesie und Prosa aufzuheben. Lohenstein's Roman Ar
minius und Thusnelda. Charakter der hoffmanns-waldau-lohensteinischen Diction. – Nachahmer dieser Schule. Ziegler's asiatische Banise. Die Romane des Herzogs Anton
Ulrich von Braunschweig. – Romanenliteratur dieses Jahrhunderts, besonders nach ihrer Sprache. – Die Wirklichkeit des siebzehnten Jahrhunderts im Gegensatz zu der phantastischen Romanwelt. Die Wirklichkeit steht verlassen von der Poesie und der Sprache. – Eigenthümliche Erscheinungen, die sich an die heimathliche Wirklichkeit lehnen: Der Roman vom Simplicissi
mus. Die orientalische Reisebeschreibung des Adam Olearius. – Eine Mischform aller Elemente dieses Jahrhunderts in Abraham a
Sancta Clara. – Die Satire dieser Zeit. Mo
scherosch, verglichen mit Pater Abraham. Joh. Balthasar Schuppius ...
S. 267–311.
7. Achtzehntes Jahrhundert. Rationalistische Aufklärungsperiode für den deutschen Stil. Hinstreben der Zeit nach correcten und regelrechten Formen. Die galante und geistlose Partei, Bohse, Hunold und Postel, als Vorgänger Gottscheds. Gottsched
Louise Adel
gunde Victorie Gottsched. Sein Revolutionstribunal der Correctheit in Leipzig. Gottsched's Zusammenhang mit der wolfischen Philosophie. Die Art, wie Gottsched eine neue Einheit von Poesie und Prosa gründet, indem er Alles prosaisch macht. Gottsched vergreift sich am deutschen Hanswurst. Bedauern über Louise Adelgunde Victorie, daß sie an Gottsched gerathen war. Die Trefflichkeit ihrer eigenen Briefe. – Gottscheds Verdienste um die Reinheit der Diction. Ein Wort Herders über Gottsched. Gottsched's Kenntniß des Altdeutschen. Sein Kampf mit den Schweizern Bod
mer und Breitinger. Bodmer studirt die Minnesängersprache. Wirkung seiner Uebersetzung Milton's. Die Persönlichkeit Bodmer's. Breitinger's kritische Dichtkunst. Schwalbenvorboten der schönern Poesie in Haller und Hagedorn. Haller's Romane. Die Satire dieses Jahrhunderts gegen Gottsched. Rost's Epistel des Teufels an Gottsched. Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts. – Bedürfniß eines productiven Genius, um neue Nationaltypen für Sprache und Geschmack hinzustellen. Klopstock. Er ist das Genie der Sprache in diesem Jahrhundert. Seine Diction ist eine Combination der deutschen Elemente mit den römischen und griechischen Sympathieen der klassischen Bildung. Klopstock's polymetrische Behandlung der deutschen Sprache. Herder's Ansichten darüber in den Fragmenten zur deutschen Literatur. Die Messiade und Gottsched. Klopstock's poetischer Stil. Die Verschlungenheit seiner metrischen Strophen und deren Einfluß auf die prosaische Satzbildung. – Die allgemeine Sprachgährung dieser Zeit. Friedrichs des
Großen Verhältniß zur deutschen Sprache. Die Abhandlung de la litérature allemande. Eine Bemerkung von F.A. Wolf. Klopstock über Friedrich den Großen. Friedrichs Vorschläge zur Verbesserung der deutschen Schreibart. Anhängung des Aen, sagena, für
sagen, u.s.w. Eine Bemerkung von Schlei
ermacher über Friedrichs sprachliche Bildung. – Schreib- und Gedankenfreiheit unter Friedrich dem Großen als die Grundelemente alles guten Schreibens und Darstellens ...
S. 312–340.
8. Verhältniß der von Klopstock gegründeten Dichtersprache zur Prosa. Die Eigenthümlichkeit der klopstock'schen Prosa. Einfluß der deutschen Wochen- und Monatsschriften auf die Bildung der Prosa. – Lessing als Genie der Prosa. Charakteristik seines Stils. – Plastische Gestaltung des deutschen Stils durch Winkelmann. – Befähigung der deutschen Prosa, der poetischen Anschauung mit aller Freiheit zu dienen. Einheit von
Poesie und Prosa und deren erste harmonische Verschmelzung im Werther. – Her
der's poetisirende Prosa. – Goethe, nach Sprache und Stil charakterisirt. Das radicale Element im Werther. Die aristokratischen Einflüsse der Gesellschaft im Wilhelm Meister und den Wahlverwandtschaften. – Die übrig blei
bende Gränze zwischen Poesie
und Prosa ...
1. Die Bedeutung der Prosa für Leben und Gesinnung. Der Roman, als die vorzugsweise ausgebildete Kunstform der Prosa. Die Verschmelzung der poetischen Formen im Roman. Die Prosa des Romans als das vereinende Gesammtorgan aller Zustände. – Das Märchen als Ideal in seiner mythischen Verhüllung. Märchenstil. Unterschied vom Romanstil. Gellert's schwedische Gräfin, und die Wirklichkeit des deutschen Lebens. – Rabener und die galante Conversationssprache seiner Zeit. – Werther und die bürgerliche Sprache und Einrichtung des Lebens. Ob der Werther hätte in Versen geschrieben werden können. – Wilhelm
Meister und die bürgerliche Lebensprosa. Streben dieses Romans nach einer idealen Prosa der Wirklichkeit. – Verhältniß der Novelle zum Roman. Verschiedenartigkeit ihrer Lebensanschauung. Prismatische Zusammendrängung der Novellendarstellung. Die Novellen in neuester Zeit der Mittelpunct für die productive Literatur der Prosa. Der neuere poetische Novellenstil und die jean- paulsche Diction. Tieck, sein Novellenstil, seine Ansicht von der Bedeutung der Novelle, und ihrem Verhältniß zur ethischen Weltordnung. – Jean
Paul's Stil. – Leopold Schefer. – Die Anwendung der Prosa im Drama. Gebundenheit des griechischen Drama's an seine Rhythmen. Das jambische Sylbenmaß des Dialogs, eine Annäherung an die Prosa des wirklichen Lebens. Hinneigung des modernen Drama's, die metrische Gebundenheit zu durchbrechen. Wechsel von Prosa und Poesie bei Shakspeare. – Vorwalten des poetischen Numerus in der Recitation auf der deutschen Bühne. – Iffland. Lessing's dramatische Prosa. Der Jambus im Nathan. – Prosa der bürgerlichen Gemälde Iffland's. – Die Prosa in Schil
ler's ersten Dramen. Der declamatorische Charakter seiner späteren Form und sein Verhältniß zur deutschen Bühne. – Tieck's Prosa in seinen romantischen Dramen. – Goethe's Schwanken zwischen Poesie und Prosa im Drama. Die Iphigenia. Auseinanderfallen der poetischen und prosaischen Elemente im Egmont. Die coupirte Prosa im Götz von Berlichingen. – Der dramatische Schlagstil bei Lenz. – Anempfehlung der Prosa für die gegenwärtige deutsche Bühne ...
S. 355–371
Verhältniß der Prosa zur Weltbil
dung und den gesellschaftlichen
Bedürfnissen. Die gesellschaftlichen Mittel zur Bildung der deutschen Sprache. Einwirkung der Frauen. Garçonartiger Charakter der Schreibart bei einigen Schriftstellern. – Einfluß Wieland's und Thümmel's auf weltmännischen Atticismus der deutschen Darstellung. Erste productive Verarbeitung des französischen Elements in der deutschen Bildung durch Wieland. Thümmel's höher gebildete Prosa. Gebildeter Cynismus in deutscher Sprache. – Fürst Pückler. Verglichen mit Thümmel. – Die gesellschaftliche Bildung und Gesinnung in Goethe's Schreibart. Seine Behandlung des Zweideutigen. Parallele zwischen Thümmel, Pückler und Goethe. – Goethes Diction und der Einfluß seines Naturells auf die Schreibart. – Sprachmischung bei Goethe, Thümmel und Pückler. Ueber das Anstößige im Französischen und im Deutschen. – Eine Bemerkung von Leibnitz über die Rechtschaffenheit der deutschen Sprache. – Ob die deutsche Sprache keuscher ist als die übrigen. – Schriftsteller, die Weltbildung und feinen Gesellschaftston ausprägten. Justus
Möser. Zimmermann, ein Opfer der Eitelkeit auch im Stil. – Peter Helfrich
Sturz. – Varnhagen von Ense. Sein Verhältniß zum Goethe'schen Stil. Selbstbekenntnisse über seine Schreibart, in Bezug auf eine Bemerkung von Gutzkow über Laube. – Eduard
Gans. Rumohr. – Gesellige Seite des deutschen Lebens in der Literatur der Brie
fe. – Der Dialog. Solger. – Herausbildung des individuellen Nationallebens in der Be
redtsamkeit. Die Beredsamkeit der deutschen Kanzel. Eine Bemerkung von Herder gegen die ciceronianische Affectation der deutschen Kanzelredner ...
S. 372–393.
3. Verhältniß der Prosa zur Wissen
schaft. Görres. – Moderne Ableger der platonischen Dialektik in Schlei
ermacher's Sprache. – Wissenschaftliche Diction Wilhelm von Humboldt's. –
Alexander von Humboldt. – Die Sprache der Wissenschaft ist abhängig von der Speculation. Die Sprache der deutschen Philosophie. Ihre Ermangelung eines nationellen Gepräges. Der Krebsschaden der scholastischen Terminologie. Fichte, Kant, Schelling. Hegel's philosophischer Stil. – Talent für wissenschaftliche Popularität bei Karl Rosenkranz. – Inwieweit der Inhalt der Philosophie zu einer populairen Form ausgebildet werden kann? – Schelling durch seine poetische Natur der philosophischen Popularität am nächsten. – Schillers philosophische Abhandlungen. – F.H. Jacobi. – Ha
mann. – Widerstreit eines zu gleicher Zeit poetischen und philosophischen Naturells in Hip
pel. – Die Geschichte. Die histori
sche Prosa in Deutschland. Der nationelle Takt der antiken Geschichtschreibung. Nachahmungen des Alterthums in Deutschland. Johannes
von Müller. Seine Schreibart ein Mischproduct der Alten und der Engländer. Ueber das Verhältniß Müllers zum Tacitus. – Thomas
Abbt. – Ranke. – Leo. – Varnhagen
von Ense's biographischer Stil. – Die poli
tische Prosa. Ermangelung eines Volksbuchs für die moderne Politik. Das preußische Landrecht, als politisches Volksbuch von Friedrich dem Großen beabsichtigt. Verdienste Hardenberg's um eine klare und schöne Gesetzabfassung. Die zähen Traditionen des Canzleistils. – Publizisten. Friedrich von Gentz hebt die Prosa der Kabinette auf eine künstlerische und ideale Höhe. kriti
sche Schreibart mehrerer Schriftsteller. – Die ästhetisirend kritische Manier der Schlegel'schen Schule. A.W. Schlegel. Fr. Schlegel.
Franz Horn. Praktischere Bewegungen der neuesten Kritik. – Varnhagen von Ense.
Karl Rosenkranz. Heinrich Laube.
Gutzkow. Kühne. Wienbarg.
Wolfgang Menzel. Heine.
Börne. – ...
Unsere »Haupt- und Heldensprache«, wie Leibnitz die deutsche nennt, hatte außerordentliche Tapferkeit in ihrer Entwickelung zu beweisen viele Gelegenheit. Die umwandelnden Jahrhunderte haben an dem spröden Korn ihres Urgesteins fortwährend gerieben und zerbröckelt, und die seltensten grammatischen Vorzüge ihrer Jugend, wodurch sie mit den antiken Sprachen wetteifern konnte, sind an ihr verblichen. Ein ähnliches Bild grammatischer Zerstörung, die parallel läuft mit dem höchsten Drang geistiger Entfaltung, möchte nicht aufzufinden sein, denn nur die deutsche Sprach- und Culturgeschichte zeigt diesen Contrast einer umgekehrten Entwickelung, wonach die Sprache erst im Greisenalter ihrer Formen dem ausgebildetsten Inhalt dient und von diesem geistige Mittel der Darstellung, innere Plastik des Gedankens, empfängt: eine neue Epoche
Deutscher Geist und deutsche Sprache standen immer in einer seltsamen Gegenwirkung, und haben noch nicht seit lange ein befriedigendes Wechselverhältniß zu einander erreicht. Die deutsche Wissenschaft, die sich lateinisch ausdrückte, das deutsche Gesellschaftsleben, das italienisch und französisch redete, das poetische deutsche Volksherz, das die heimathlichen Laute bald keck hervorquellen ließ, bald auch wieder wie stumm werdend verlernte, dies waren verlegene Zustände einer Nationalbildung, die nur so lange möglich sind, als eine Nation noch nicht eine eigenthümliche Summe origineller Weltanschauung in ihrem Vermögen hat. Ist sie aber einmal zu dieser gelangt, so ist auch eine scharf geprägte Individualität in ihr fertig, welche sich jeder sprachlichen Fremdherrschaft von selbst widersetzt und einen eignen Haushalt und Heimathsheerd ihrer Nationalsprache für alle Lebensbeziehungen
Alle Sprache, alle Fähigkeit der Darstellung, göttlich sei, und Herder widerlegte ihn in seiner berühmten Preisschrift, in der, neben vielen sentimentalen und declamatorischen Allgemeinheiten, worin so häufig Herder's Untersuchungen verschwimmen, doch der
Der göttliche Ursprung der Sprache hat in einem andern Sinne seine Wahrheit, in welchem er in den Ursprung der menschlichen Individualität sich verliert. Herder würde sich mehrere Umwege erspart haben, wenn er die Sprache sogleich als die Auseinanderlegung der menschlichen Persönlichkeit selbst aufgefaßt hätte. Bei aller zugegebenen Einheit und Unzertrennlichkeit von Vernunft und Sprache, Wort und Gedanke, ist doch die menschliche Sprache etwas Gemischtes, das nur nach der einen Seite in unser rein Vernünftiges und Göttliches, nach der andern aber in unser Seelisches und in das Nervenleben hineinreicht. Dies ist die ächte Mischung des Individuellen, welches Sprache wird, und so gehen Temperament, Blut und Leidenschaften der Völker in ihre Grammatik und Wörterbücher über. Die reine Vernunft, die alle Nationen zu einer gleichen intellectuellen Anschauung führt, würde als Sprachbildnerin eine allgemeine Sprache erzeugt haben, die bisjetzt nur als künstliches Problem erfindenden Köpfen vorgeschwebt hat.
Wilhelm von Humboldt sagt sehr treffend in der Einleitung zu seinem großen Werk über die Kawi-Sprache
1
: »Die Geisteseigenthümlichkeit und die Sprachgestaltung eines Volkes stehen in solcher Innigkeit der Verschmelzung in einander, daß, wenn die eine gegeben wäre, die andere müßte vollständig aus ihr abgeleitet werden können. Denn die Intellectualität und die
Sprache gestatten und befördern nur einander gegenseitig zusagende Formen. Die Sprache ist gleichsam die äußerliche Erscheinung des Geistes der Völker; ihre Sprache ist ihr Geist, und ihr Geist ihre Sprache; man kann sich beide nie identisch genug denken. Wie sie in Wahrheit mit einander in einer und ebenderselben, unserem Begreifen unzugänglichen Quelle zusammenkommen, bleibt uns unerklärlich verborgen. Ohne aber über die Priorität der einen oder andern entscheiden zu wollen, müssen wir als das reale Erklärungsprinzip und als den wahren Bestimmungsgrund der Sprachverschiedenheit die geistige Kraft der Nationen ansehen, weil sie allein lebendig selbstständig vor uns steht, die Sprache dagegen nur an ihr haftet. Denn insofern sich auch diese uns in schöpferischer Selbständigkeit offenbart, verliert sie sich über das Gebiet der Erscheinungen hinaus in ein ideales Wesen. Wir haben es historisch nur immer mit dem wirklich sprechenden Menschen zu thun, dürfen aber darum das wahre Verhältniß nicht aus den Augen lassen. Wenn
Die Einheit der Sprache mit der Individualität ist heut noch als das stärkste Band des Patriotismus übrig geblieben. Die tiefsten Bedürfnisse
Eine allgemeine Völker-Association, wenn sie wirklich historisches Ziel ist, wird dennoch die Volkssprachen nicht verwischen. Noch weniger wird sie allgemeine Sprache herstellen, die eine Zeitlang ebenfalls als höchstes Ziel und Ideal des Völkerverkehrs angesehen ward. Das bekannte Alphabet der menschlichen Gedanken, mit dem sich Leibnitz in seiner Analysis notionum in Alphabetum (ut appello) cogitationum humanarum beschäftigte, konnte ebenso wenig reale Erfolge haben, als die schon früher entwickelte, obwohl fast gänzlich unbekannt gebliebene Ideographie des Cartesius, die er in seinen Briefen (I. III. ad Mersennum) bei weitem klarer als Leibnitz auseinandersetzte und worauf Radlof (teutschkundliche Forschungen II. 70fg.) zuerst wieder aufmerksam machte. Die Hypothesen beider Philosophen trafen darin zusammen: einmal, daß es der Wissenschaft möglich werden müsse, alle menschlichen Gedanken aufzuzählen und in einer gesetzlichen Ordnung und Reihenfolge, die der Zahlenordnung gleichkäme, darzustellen; und dann, daß eine allgemeine Sprachschrift erfindbar sei, um damit jeden Gedanken gewissermaßen so abzuschreiben, daß er, wie ein Rechenexempel, nicht nur in sich richtig und Ausdruck eines richtig Gedachten sei, sondern auch in dieser Abzeichnung in allen Sprachen
Der Franzose wird daher fortfahren, französisch zu schreiben, der Engländer englisch, der Deutsche deutsch. Die bestimmteste und gebildetste Individualität, die sich mit Freiheit in der Sprache erschließt, wird zugleich die höchsten Erfordernisse in der Kunst der Darstellung von selbst befriedigen. –
Alexander von Humboldt.
Die Sprache, als Offenbarung der ganzen menschlichen Individualität, hat ohne Zweifel auch großen Antheil an unsern Gedanken und deren Bildung. Darüber hat schon Wilhelm von Humboldt in seiner Abhandlung »über das Entstehen der grammatischen Formen und ihren Einfluß auf die Ideenentwickelung«
1
einzelne treffende Andeutungen gegeben, und besonders hervorgehoben, daß der Geist auch von der Sprache empfängt. Die Sprache ist daher ebenso sehr Inhalt wie Mittel, und auf der vollendetsten Einheit und Verschmelzung beider beruht die Vollkommenheit aller Darstellung. Darstellung ist Bildung, und hat, wie diese, einestheils ein überliefertes und lehrbares, anderntheils Sprachakademie, welche ihnen die Sprache nach Gesetzen gliederte und ordnete, und man hätte vergeblich zu warten, ob eine Eskimo-Literatur danach entstände, wenn auch das grammatische Kunststück noch so glücklich gelingen sollte.
Die Entwickelung der Sprachen ist vielmehr die, daß sie den grammatischen Naturzustand abstreifen Jacob Grimm
2
noch allgemeiner zu der Behauptung ausgedehnt: daß die Bildung des menschlichen Geschlechts mit der Vollendung seiner Sprache in einem reinen Gegensatz stehe, und, je mehr von der allgemeinen Cultur des menschlichen Geistes in die Sprache übergehe, die letztere desto mehr an der Größe und Originalität ihrer eigensten grammatischen Natur verliere. Indeß darf man es, glaube ich, mit solchem Verlust nicht allzu genau nehmen, da der Ersatz ihm hinlänglich die Wagschale hält, und es Grimm sagt sehr schön: »Man kann die innere Stärke der alten Sprache mit dem scharfen Gesicht, Gehör, Geruch der Wilden, ja unserer Hirten und Jäger, die einfach in der Natur leben, vergleichen. Dafür werden die Verstandesbegriffe der neueren Sprache zunehmend klarer und deutlicher. Die Poesie vergeht, und die Prosa (nicht die gemeine, sondern die geistige) wird uns angemessener.«
Die Poesie der Sprache ist die noch unentfärbte Bildlichkeit, welche auf der Naturstufe an ihr blüht. In dieser Zeit giebt es überhaupt noch keine Prosa, weil jedes Wort schon durch seine Wurzel und Zusammensetzung einen poetischen Eindruck Kind (chint, von der Wurzel chin, keimen) daran, daß er etwas Metaphorisches: das Gekeimte, Erblühte, damit ausspricht? Andere Ausdrücke, die besonders durch ihre Zusammensetzung poetische Metaphern machen, z.B. halsstarrig, widerspänstig, und unzählige ähnliche, sind ebenfalls in dem Sinne prosaisch oder vielmehr vergeistigt geworden, daß sie nur den Gedanken ausdrücken, ihr bildliches Gepräge aber sich gänzlich für uns verwischt hat; während noch Leibnitz das Bildliche solcher Wörter, wie einfließen, ausfließen, abhängen, haften, so lebhaft 3
. In der neuesten Zeit hat vornehmlich Graff bei Gelegenheit seines Althochdeutschen Sprachschatzes auf das bildliche Element der deutschen Wörter zurückgewiesen, denn bildlich muß man fast immer den Eindruck nennen, den man durch die Auseinanderlegungen der Etymologie empfängt. Aber dieser Sprachforscher, der damit seinem großartigen Werke ohne Zweifel nur eine populaire Seite der Nutzbarkeit nachweisen wollte, hat eine zu starke Wichtigkeit darauf gelegt, daß wir wieder in die ursprüngliche Bedeutung unserer Wörter zurückversetzt würden. Im Grunde werden wir doch für das Leben und die Production wenig damit anzufangen wissen, wenn es uns auch immer gegenwärtig bleibt, daß Kind von der alten Wurzel chin, daß Leichnam, aus lih, Körper, und ham, Bedeckung, fleischliche, leibliche Kleid bedeutet, daß Getraide in seiner alten Form gitragidi lautend, die Wurzel tragan,
tragen, hat
4
u.s.w. Das unbestreitbare Interesse hiebei ist das der wissenschaftlichen Forschung selbst, aber den Wörtern kann dadurch nicht, wie Graff begeistert träumt, »ihre Seele wieder zugeführt«, noch »unserer zu einer todten Zeichenmasse erstarrten Sprache die Frische ihrer jugendlichen Lebensfülle, die Kraft des lebendigen Eindrucks« von neuem zurückgegeben werden. Dies beruht vielmehr auf einer unrichtigen oder widergeschichtlichen Ansicht. Die Wörter können auf gebildeter Culturstufe des Geschlechts allerdings nur als Zeichen- und Mimenspiel des Gedankens gelten. Die sinnliche Malerei tritt aus dem einzelnen Wort in die Bedeutung des ganzen Satzes über, der solche Eindrücke, wenn sie in der Intention liegen, darstellbar zu machen hat, und in dieser Periode erst gliedert sich eine Sprache am freiesten in kunstvolle Darstellung, vornehmlich in 5
Die Sprache einem grammatischen Ideal zuzuführen, oder, wie es bei uns der Fall wäre, zu ihm zurückzuführen, ist immer ein um so mißlicheres Beginnen, da, wie wir angedeutet haben, der productive geistige Fortgang des Menschengeschlechts Darstellung.
Man hat in neuester Zeit die Frage der Akademieen wieder angeregt, vornehmlich zur Einwirkung auf vollendete prosaische Darstellung, deren zeitgemäße Bedeutsamkeit wenigstens damit ausgesprochen worden ist. Ausgezeichnete Männer in hoher und bevorzugter Stellung sind kürzlich mit Ideen umgegangen, durch welche die laufende deutsche Literatur in dieser Weise einen Mittelpunkt ihrer wichtigsten Interessen finden sollte. Auf die
Die bestimmteste Sprachgesetzgebung ließ Muhamed ausgehen. Er verbot durch ein Landesgesetz, daß sich Niemand erdreisten solle, besser zu schreiben als er, der vom Geiste Gottes getrieben sei, und von dieser Zeit an verblühte und verkam die arabische Sprache.
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Diesem verderblichen Erfolg muhamedanischer Akademie stehen bei den uns näher angehenden Versuchen wenigstens keine positiven und günstigen Resultate gegenüber, bei allem Leibnitz, der selbst das Einsammeln der Sprache in solchen Arzeneigläsern, wie das Dictionnaire der französischen Akademie, billigte und empfahl, scheint auch für Deutschland an eine Einwirkung der Akademieen auf die Sprache gedacht zu haben, wie aus mehreren Stellen in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« hervorgeht.
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Welche Art von Fragen er jedoch besonders solcher akademischen Entscheidung zu unterbreiten scheint, zeigt sich vielleicht in folgender Stelle (a.a.O. S. 48. §. 108.), wo Leibnitz einen »seltsamen Fall« berührt: »Sonst sind wohl einige Zweiffel bei uns vorhanden, darüber gantze Länder von einander unterschieden und Canzeleyen selbst gegen Canzeleyen streiten, als zum Exempel, was für Geschlechts das Wort Urtheil sei? Im Reiche beym Reichs-Hoff-Rath, beym Reichs-Kammer-Gerichte und sonst ist Urtheil
weiblichen Geschlechts und saget man die Urtheil; Hingegen in denen Obersächsischen Gerichten spricht man das Urtheil.
Die abenteuerlichen Sprachgesellschaften, welche sich im siebzehnten Jahrhundert nach Vorbild der italienischen Akademieen bildeten, hatten auf die deutsche Sprache fast gar keinen Einfluß, und bewiesen durch sich ebenfalls, daß nur die lebenzeugende Production im Stande sei, denselben zu gewinnen. Von Deutschlands Akademieen selbst wurde sogar die ausländernde Heimathlosigkeit der deutschen Zunge eher begünstigt als widersprochen, und wie sehr gewiß Leibnitz als Gründer einer Akademie vorzugsweise ein Charakterbild deutscher Wissenschaft vor Augen hatte, so wurde es doch gerade bei der berlinischen Akademie anfängliches Gesetz, die Abhandlungen in französischer Sprache zu 8
, wie er es denn überhaupt in seinem hochherzigen Eifer für die Sprache des Thuiskon, mit welchem er auch in den Grammatischen Gesprächen gegen alle Ausländerei heftige Fehde begann, zum ersten Gesetz der deutschen Gelehrtenrepublik machte: »wer in lateinischer Sprache schreibt oder in einer neuen ausländischen, wird so lange Landes verwiesen, bis er etwas in unserer Sprache herausgiebt« – »selbst Leibnitz, wenn er wieder käme.«
Wenn man die deutsche Literatur und ihre sich selbst überlassene Darstellung aus den Studirstuben, einsamen Poetensteigen, Vetter-Michel-Soiréen und Salonsverabredungen plötzlich aufgerufen und versammelt denkt zu einem Mittelpunkt öffentlicher Repräsentation, so wäre immer noch das Schwierigste übrig, zu bestimmen, wo die beabsichtigte Wirksamkeit anfangen und wieder aufhören solle.
Auch unter Wielands Käppchen regten sich einmal die Ideen einer deutschen Akademie. Wenigstens sprach er das Bedürfniß aus, der Verwirrung deutscher Schreibarten durch irgend eine Autorität ein Ziel zu setzen, durch irgend ein »gemeinschaftliches Panier«, wie er es nannte, unter das die Schriftsteller aus ihrem gesetzlosen Zustande, in dem jeder thun könne, was ihm beliebe, zu einer festen und gegenseitig bedingenden Gemeinsamkeit gerufen würden. Näheres darüber hat er nicht aufgestellt. Andere einzelne Pläne, die ebenfalls entweder unentwickelt oder erfolglos geblieben, können
Auf der einen Seite handelt es sich dabei um das Verhältniß des Staats zur Literatur, auf der andern um das Verhältniß der Literatur zu sich selbst. Wenn wir das rein Literarische im Auge behalten, so sind alle Formen und Gattungen der Production immer nur durch sich selbst bestimmbar. Die Literaturgeschichte empfängt zwar historische und politische Einflüsse, und gestaltet oder mißgestaltet sich danach, aber sie läßt sich niemals nach bestimmten Absichten verbessern. Dem Geist einer Literatur ist nicht aufzuhelfen, weil der literarische Inhalt nur von sich selbst Nahrung und Werdelust entnehmen kann.
Dann hat man aber noch immer einen großen und wünschenswerthen Spielraum akademischer Beaufsichtigung und Gesetzgebung für das literarische Material übrig gesehen, und mit vielem Recht! Viele streitige und unentschiedene Fälle der deutschen Grammatik, besonders aber die hinundherschwankende
Wir beschließen unsere Seitenblicke auf die Wirksamkeit der Akademieen vorläufig unter den günstigsten Gesichtspunkten, unter denen sie August Boeckh in seiner trefflichen Rede über Leib
nitz und die deutschen Akademieen als »die Gesellschaft der Meister« bezeichnet, und wünschen sie in diesem Sinne nach allen Richtungen hin wahrhaft förderlich: »Wie eine Encyclopädie aller Wissenschaften und wieder jedes besondren Hauptfaches nöthig ist, so bedarf das wissenschaftliche Leben einer umfassenden Gesellschaft der Meister, damit die einzelnen Glieder in lebendigem Zusammenhange bleiben; denn nur wenigen Geistern ist es
Man kann es nicht als wahrscheinlich annehmen, daß sich noch einmal eine ähnliche Bewegung und Umwälzung in unserer Sprache hervorbringen ließe, wie sie durch Luthers Bibelübersetzung geschah, in der das Hochdeutsche sich zuerst als ein entschiedenes geschichtliches Moment herausstellte und zum Canon für die weitere Fortbildung der modernen deutschen Sprache wurde. Denkt man sich aber, daß derselbe Sprachfortschritt, den Luther productiv gestaltete und unwiderstehlich ins Leben überführte, immerhin mit gleichumfassender Bedeutsamkeit und
Ideal aller Sprache und Darstellung ist bloß der Gedanke. Von dem richtigen Verhältniß des Gedankens zu seiner Darstellung, wovon zugleich das Maaß aller zu gebrauchenden Kunstvortheile und der Schönheit selbst abhängt, ließe sich am allerersten ein akademischer Canon aufstellen. Wenigstens ist eine Philosophie des Stils denkbar und zu versuchen, welche, der genialen Willkür der Production allen Spielraum übrig lassend, das allgemein Nothwendige, auf dem jede treffende und das Leben erschöpfende Darstellung beruhen muß, zum Bewußtsein brächte. –
ersten Ausgabe seiner deutschen Grammatik (s. besonders S. XXVII fg.), die leider in den folgenden Auflagen fortgeblieben.
Leibnitz sagt sehr treffend in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« etc. §. 5 u. 6: – »Gleichwie man in großen Handelsstädten, auch im Spiel und sonsten, nicht allezeit Geld zahlet, sondern sich an dessen Statt der Zeddel oder Marken bis zur letzten Abrechnung oder Zahlung bedienet; also thut auch der Verstand mit den Bildnissen der Dinge, zumahl wenn er viel zu dencken hat, daß er nehmlich Zeichen dafür brauchet, damit er nicht nöthig habe, die Sache jedesmahl, so oft sie vorkommt, von neuem zu bedencken. – Und gleichwie ein Rechenmeister, der keine Zahl schreiben wollte, deren Halt er nicht zugleich bedächte, und gleichsam an den Fingern abzählte, wie man die Uhr zählet, nimmer mit der Rechnung fertig werden würde: Also wenn man im Reden und auch selbst im Gedanken kein Wort sprechen wollte, ohne sich ein eigentliches Bildniß von dessen Bedeutung zu machen, würde man überaus langsam sprechen, oder vielmehr verstummen müssen, auch den Lauff der Gedanken nothwendig hemmen, und also im Reden und Dencken nicht weit kommen.«
Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens, (Genev 1768.) Tom III. Pars. II.
Die erste und natürlichste menschliche Mittheilung war Poesie, unabhängig von aller Literatur, und Urtypus derselben. Auf literarischem Wege bildete sich die Prosa, ein Kind künstlicherer Sitten verständigen und praktischen Lebensformen sich anschließend. Von dem poetischen Zeitalter der Sprache selbst in ihrem frühesten Naturbau haben wir schon früher gesprochen und die beginnende Epoche der Prosa in dem genetischen Leben der Wörter angedeutet. Herder behauptete, die Sprache, in ihrer ersten Schöpfung rein nach Naturlauten und Interjectionen aufgenommen, sei immer eine Art von Gesang gewesen;
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gewiß aber ist, daß auch die erste Aufzeichnung der Rede bei allen Völkern einen rhythmischen Charakter an sich trug, der sich bald an eigenthümliche Versgebilde fesselte. Das
Das Metrum ist gleichwohl aus dem Satz entstanden. Der Rhythmus des einfachsten Satzes, dem man den Wellenschlag seiner Hebungen und Senkungen ablauscht, crystallisirt sich durch den
Die modernen Sprachen sind für die Prosa günstiger organisirt, als für die metrische Poesie. Daher die vorwaltende Neigung der neuern Literatur, die Poesie in die Prosa übergehen zu lassen, oder vielmehr der völlige Mangel einer ausgebildeten Verschiedenheit zwischen poetischem und prosaischem Sprachgebrauch, der sich in den alten Sprachen, sowohl grammatisch als literarisch, so accentuirte sind, während die Sprachen des Alterthums die Quantität und damit den eigensten Grund und Boden besaßen, auf dem eine entschieden ausgeformte und gußfeste Metrik, die zugleich an diese starke Form einen besondern Sprachgebrauch fesselte, entstehen konnte. Dagegen gewährt die Accentuation der neuern Sprachen, die in der deutschen vornehmlich auf der Wurzel ruht, der metrischen Form keine tiefgreifende Stätte, dem Gedanken aber den allerweitesten und willkürlichsten Spielraum, ja jedes Uebergewicht über die leicht verwischbare Form. Die Betonung der Sylbe, deren Messung gleichgültig wird, steht sofort unter dem Einfluß des Gedankens, der Accent ist der lautwerdende Verstand des Wortes. Graf Schlabrendorf, dessen genialer Betrachtungssinn überall hinreichte, hat in seinen Bemerkungen über die Sprache
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die innerliche Bedeutsamkeit der accentuirten neuern Sprachen, daß in ihnen die Betonung Hauptsache geworden ist? Die alten schmückten hauptsächlich die Vorhalle der Gemüthswelt; die neuern dringen in das Allerheiligste. Hat nicht also auch die Sprache der Menschen jetzt höhere Bedeutung und höhern Charakter angenommen, indem sie sich aus der Sinnenwelt in das Gebiet des Geistigern erhob? Ich möchte fast sagen, das Christenthum wirkte auf das Innere des Sprachwesens ein, und schied auch hier Altes und Neues. – Der durch das Sylbengewicht gewonnene Rhythmus kann der extensive, der durch Betonung entspringende der intensive genannt werden. Jener bezeichnet die Dauer; dieser die Kraft. Alle neuern Völker haben vorzugsweise für den letztern Empfänglichkeit; selbst die Neugriechen haben aus ihrer alten quantitirenden Sprache eine neue accentuirende gemacht.«
Gedanken durchbrochen, sie bezeichnen nicht mehr verschiedene Ideenkreise, und wenn man auch dem Verse seinen poetischen Heiligenschein und die Berechtigung für einen gewissen Inhalt nie wird abläugnen können, so büßt dagegen die Prosa durch dessen Entbehrung keine innerlichen poetischen Vortheile der Darstellung mehr ein. Die dynamische Verschiedenheit hat sich ausgeglichen, und die alten Vorurtheile gegen das Prosaische der Prosa erinnern uns nur noch an Hippel's scherzhafte Theorie von Poesie und Prosa, die er einmal in seinem Buch über die Ehe giebt, und die wir, als eine gute Ironie auf ästhetische Definitionen, hieher setzen wollen: »Ehrsamer Freund, willst Du wissen, ob Dein fähiger Sohn in Prosa oder in Versen Palmen brechen wird? Recipe: ein Glas Medizin, davon alle Stunden sechszig Tropfen in methodo mathematica schreiben; kann er aber in vierundzwanzig Stunden diesen Löffel nicht sehen, so ist er ein Liederdichter; kann er in sechs Tagen ohne kalten Schauder keinen solchen Löffel brauchen – zieh' ihn danach, und wenn das Glück gut ist, wird er Homer!« –
Die Emancipation der Prosa, wofür man ihre innere Gleichstellung mit der Poesie oder vielmehr ihre bloß dem Gedanken folgende Darstellungsfreiheit ansehen könnte, ist in der deutschen Literatur noch nicht seit lange erreicht, keineswegs aber schon zu einer allgemeineren Durchbildung, selbst bei den Schriftstellern, vorgeschritten. Unter deutscher Prosa hatte man sich sonst ein schwerlöthiges, vierundzwanzigpfündiges Geschütz vom gröbsten Kaliber zu denken, das mit einem Langgespann von sechs Pferden rumpelnd in die Schlacht gezogen wurde; oder einen in tiefen Sandspuren langsam fortkeuchenden, uckermärkischen Frachtwagen, der mit Säcken, Kisten und Fässern aller Art so vollbepackt dahintrollt, daß man den Muth verliert, ihn anzuhalten, gehört wird, gelangt jedoch weit eher dazu, auch gut geschrieben zu werden, und eine bloß geschriebene, wie die deutsche, welche sich ganz dem Ohr entzieht und der freieren öffentlichen Gelegenheiten entbehrt, fällt von selbst dem Studirstubencharakter, dem Kanzlei- und Predigerstil, dem altfränkischen Menuettschritt steifverschlungener Sätze, anheim. Der Deutsche schreibt ein Herz dazu besitzt. In unserer Literatur haben nur wenige große Meister des Stils den Inhalt unmittelbar freigegeben an seine Form, die er von selbst sich erschafft, und die mit aller gesellschaftlichen Grazie der Darstellung auftritt, sobald sie frei und unbefangen sich selber überlassen wird, ohne sie
Die latinisirenden Sympathieen der deutschen Prosa lassen sich vorzugsweise auf zwei Ideale zurück führen, Cicero und Tacitus, von denen der erstere der deutschen Schreibart nur geschadet, der andere nur genützt hat. Der Einfluß dieser beiden römischen Schriftsteller auf das Wesen des deutschen Stils nimmt in der That für uns eine literarische Bedeutung ein. Börne hat in gewissem Sinne sehr Recht, wenn er einmal meint, man müsse Stilübungen mit der Jugend noch gar nicht vornehmen, denn Stil sei Werk und Ausdruck des Mannes, des hervorgebildeten Charakters. Stilübungen der Schule liefern uns zuerst dem ciceronischen Schematismus in die Hände, und gewöhnen uns, eine Schreibweise zu mechanisiren, die weder freier Erguß des Herzens, noch treue Abprägung unsrer eigenthümlichen Gedankenreihen ist. Cicero, der Talleyrand der alten Beredtsamkeit, mag von den lateinischen Grammatikern mit Recht als Hippel ausgesprochen, und es wäre zu wünschen, daß sich dieser allgemeiner verbreitet hätte, anstatt daß wir nun schon als Muttermilch unserer Prosa diese eitele, weitschweifige, rhetorisch fabrizirte Schreibart einsaugen müssen, in der wir es höchstens zu einem fehlerfreien Schulmeisterstil bringen. Als den ersten Vermittler der ciceronischen Prosa mit den modernen Literaturen kann man den Boccaccio ansehn, der in seinem Decamerone, welcher ein europäisches Lesebuch wurde und sehr früh und sehr häufig auch in Deutschland Uebersetzer fand, zuerst die italienische Prosa nach dem classischen Musterbild des Cicero formte, zu einer Zeit, wo es noch nirgends in Europa eine gebildete moderne Prosa gab. Durch ihn wurde Ciceros Schreibart in einer modernen Production überliefert, und damit das lange bedenkliche Gesicht der von Zwischensätzen überfüllten Periodenbildung, die unter allen neuern Sprachen der langsam und gewesen sein, geworden sein, gehabt haben u. dgl., womit wir uns noch immer mehr als nöthig und billig Umstände machen, verdanken wir den Rückwirkungen des Cicero, dessen große Effecte mit seinem esse videatur und andern rhythmischen Schlußfällen
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uns unsere Lehrer nicht genugsam preisen konnten.
Schönere und geistigere Eindrücke empfing die deutsche Prosa von dem Stil des Tacitus, welcher einen andern Pol für die Bildung unserer Schreibart bezeichnet. Im Tacitus erzeugt und beherrscht das Gemüth die Periode, und die kurzen, schlagfertigen Reihen derselben sind abgebrochene 2
, häufig als eine Stufe des Verfalls, des Sprach- und Schreibverderbens angesehen, besonders deshalb, weil in ihm jene Verschmelzung von Poesie und Prosa begonnen, die wir früher aus allgemeinem Gesichtspunct posse, facere, agere; eine, wenigstens nach Cicero, ungrammatische Folge der Zeiten hinter den Conjunctionen, die aber meist aus feinberechneten Motiven der Gesinnung erwächst; der Gebrauch des Neutrums der Adjectiva für ein Substantivum; diese Eigenthümlichkeiten alle beweisen 3
.
Der tacitische Stil ist für Deutsche vielfach Muster und Lehrmeister der Schreibart geworden. Fichte bildete seine herrliche Darstellung in den Reden an die deutsche Nation durch vorangegangene Studien des Tacitus
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, und vieles Treffliche unserer Geschichtschreibung, sowohl in der Behandlung als in der Auffassung, wird immer auf sein Vorbild zurückgeführt werden müssen. Einige Schriftsteller
Es giebt überhaupt kein bestimmt aufzustellendes Muster der Schreibart, da immer nur diejenige die rechte ist, die, frei von jedem Mechanismus, aus dem inneren Leben des Gegenstandes hervorgeht. Es müßte denn die ausgebildetste Harmonie der geistigen und formellen Bestandtheile des Satzes sich in irgend einer Erscheinung so verwirklicht zeigen, wie Wilhelm von Humboldt, in seiner Abhandlung über das Entstehen der grammatischen Formen, es von der griechischen Sprache, die ihm die vollendetste erschien, als ein Ideal bezeichnete, indem er sagt: »In dem künstlichen Periodenbau dieser Sprache bildet die Stellung der
Bötticher, de vita, scriptis ac stilo Taciti. (Berol. 1834.)
Die künstlerischen Gesetze, nach denen die geschriebene Prosa sich bildet, haben auf die Sprache des wirklichen Lebens in Deutschland keine Anwendung. Beide stehen abgerissen von einander und getrennt sich gegenüber, obwohl die bedeutsamste Beziehung zwischen ihnen anzuknüpfen wäre. Bevor wir die Kunst der productiven Prosa erörtern, dürfte es interessant sein, auf die Prosa der deutschen Conversation einen Blick zu werfen, und von unserem Gesellschaftszustand, in seinem Verhältniß zur Sprache, eine Andeutung zu geben. –
Wessels bekannte Parodie: »Liebe ohne Strümpfe« wurde von Scalabrini in Musik gesetzt, ohne daß dieser italienische Componist auch nur ein Wort von dem dänischen Texte verstanden hätte. Eine ähnliche Parodie mit Harmoniezwang wird noch heut alle Abende in unserer Gesellschaftsunterhaltung bon ton nennt, hat, um Sinn, Wort- und Menschenverstand ganz unbekümmert, eine Musik daraus gemacht, in dem bekannten Grundsatz: Quand le bon ton parait, le bon sens se retire. Diese Composition, die uns als deutsche Gesellschaftssprache an die Ohren schlägt, ist, wie ich beweisen werde, eine verderbte Grammatik, eine verderbte Logik, ein verderbtes Menschengefühl und eine verderbte Natur; aber sie ist nichtsdestoweniger Musik, und für den gewohnten Umgangsverkehr unsere einzige Lebensmelodie, die einzige anerkannte Tanzregel, nach der man sich nicht nur dreht, sondern auch denkt.
Man hat noch nicht die Geschichte der deutschen Höflichkeitssprache geschrieben. Und doch ist es bei ihrer Betrachtung der größte Trost, daß sie eine Geschichte hat, mithin ebenso gut einer Verbesserung in aufsteigender Linie fähig ist, als sie in absteigender eine Verderbung erlitten. Ich sehe schon das staunende Lächeln eines unserer Nachkommen,
JUNGER HERR. Gnädiges Fräulein erweisen mir allerdings einen Dienst damit, denn nun werden Sie mich beehren, Ihr Urtheil hören zu dürfen.
JUNGE DAME. Sie verzeihen.
JUNGER HERR. Sie haben Recht und ich glaube Sie zu verstehen. Fräulein meinen, es sei unverzeihlich, über einen solchen Autor zu kritisiren.
JUNGE DAME. Sehr wahr.
JUNGER HERR. Ich möchte aber dennoch um Entschuldigung bitten, und eine Seite an unserm großen Rummelsburg hervorheben, die merkwürdig ist, – wenn Sie erlauben, seine allzumaterielle Behandlung der Liebe.
JUNGE DAME erröthend. Gewiß. – Man dürfte nicht ermangeln, Ihnen hierin beizustimmen – Sie fängt hastig an zu stricken.
JUNGE DAME zu ihrer Nachbarin leise ins Ohr. Ich finde, daß er viel Geist hat. Man kann sich recht gegen ihn aussprechen.
JUNGER HERR zu seinem Nachbar leise ins Ohr. Ich finde, daß sie gar nicht so übel ist. Hinter ihren Redensarten lauert ohne Zweifel viel Geist versteckt. – –
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Dieser flüchtige Küchenzettel einer gewiß ganz1
, der überhaupt schon frühe, mehr als bekannt ist, einer gewissen antinationellen Opposition manche Stichwörter hingeworfen hat, die später auf anderm Grunde aufgenommen und zu einer systematischen Controverse versponnen wurden. Man muß aber vielmehr nie vergessen, daß eine wesentliche Verschiedenheit zwischen unserm Nationalcharakter selbst und seinen traditionellen Ausdrucksformen existirt, denn wäre unsere innere Nationalität ebenso schielend, gedankenlos kriechend und meinungsscheu, als unsere gesellschaftlichen Phrasen, so taugten wir wahrlich nichts bis in die Seele hinein, und jede Mühe wäre unnütz, durch Opposition solchen unterhöhlten Charakteren aufzuhelfen. Und in der That, wenn man die göttliche Gabe der Rede durch den schimmernden Gesellschaftssaal und seine Gruppen und Reihen hintönen hört, seelig, die sich in keiner andern Sprache ähnlich wiedergeben läßt, Ständeunterschiede sogar in der Unsterblichkeit annehmen! Es fehlte nur noch die Höflichkeit jener wilden Völkerschaften, die von Zeit zu Zeit aus Artigkeit gegen einen neuen Herrn alle Wörter und Zeichen ihrer Landessprache gänzlich umändern, sodaß unter dem einen Herrscher Tisch heißt, was unter dem andern
Die Schlechtigkeit unserer Umgangssprache, die alles patriarchalische Herz für menschliches Vernehmen verloren und kein Lachen und kein Weinen der Seele auf ihren überstimmten Claviaturen hat, ist also, wie wir anzudeuten gesucht, durchaus keiner Entsittlichung des Nationalcharakters zuzuschreiben. Diese Sprache ist das Sündenkind der deutschen Gesellschaftlichkeit, welche bekanntlich etwas von den Interessen der Nationalität ganz Abgesondertes, eine für sich bestehende Kalksteinformation unserer gebildeten Stände ist. Die deutsche Gesellschaftlichkeit in ihrem gegenwärtigen Zustande ist die Selbstironisirung des deutschen Gemüths. Die deutsche Sprache aber war von jeher ein so tiefsinniges, Gedankeneinsamkeit liebendes, nachtigallenartiges, vornehmere Organ galt,
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aber es kam eine Zeit, 3
Die natürliche und humane Höflichkeitssprache der Franzosen, mit deren leichtgeschürzten Gewändern die deutsche Geselligkeit so lange ihre beste Toilette bestritten, hat auf den deutschen Geist
Die eingeständliche Meinungslosigkeit, aus der unsere gesellschaftlichen Phrasen hervorgegangen, trägt auch davon die Schuld, daß für viele Dinge des Umgangs ein französischer Ausdruck vorgeschoben wird, indem unser Deutsches entweder noch nicht die Keckheit solcher Bezeichnung unter seinen Wörtern ausfündig gemacht, oder auch die Sache dadurch gemildert und schonend verhüllt werden soll, daß wir sie dem Andern nicht gerade mit einem deutschen Wort ins Gesicht sagen. Beruhte unsere Conversationssprache nicht auf solchen Rücksichten und Voraussetzungen, so würden sich für manche gesellschaftliche Leichtfertigkeiten und Umgangsgewohnheiten,
Man kann annehmen, daß bis ins funfzehnte Jahrhundert hinein das für alle Verhältnisse des Lebens gebräuchliche Anredewort in dem einfachen Du bestand, der natürlichsten und arglosesten Form, um eine Gegenseitigkeit zweier Personen, die miteinander in Beziehung treten, auszudrücken.
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Du
Ihr als Anrede zu brauchen, Du war namentlich in den höheren Zirkeln nicht mehr fashionable, und nur den Subalternen wurde es noch von ihren Vorgesetzten im Umgange geboten.
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Die Aristokratie ihrte sich gegenseitig, und die Demokratie wurde von ihr gedutzt. Bei größeren Anregungen des deutschen Lebens von Außen Er, worin das sechszehnte und siebzehnte Jahrhundert hindurch die gebräuchlichste Anrede im geselligen Leben bestand, zu einer Zeit, wo durch Interessen des Handels, der Politik und der erwachenden Wissenschaften die italienische Sprache an den deutschen Höfen und 6
Denn diese dritte Person des Pronomens im Singular war ohne Zweifel nur als eine Nachahmung der italienischen Sprachgewohnheit entstanden, obwohl man sich im Italienischen, mit noch weichlicherer Färbung, des Femininums dabei bedient und Jedem, den man anredet, die Galanterie erweist, ihn zum Weibe zu machen. So weit war es jedoch in Deutschland zu dieser Zeit, wenn auch schon Paul Flemming seine Geliebte sein »göttliches Mensch« nannte, nicht mit der chevaleresken Verehrung der Weiblichkeit gediehen, daß man es für höflicher hätte halten sollen, auch dem Manne ein zarteres weibliches Genus in der Anrede beizulegen.
Nachdem einmal die dritte Pronominalperson in unsere Höflichkeitsterminologie eingewandert war, lag, bei fortdauernder Leidenschaft zur immer größern Steigerung der Höflichkeit, der Uebergang nahe, in der dritten Person der Mehrheit statt Er nunmehr Sie zu sagen, auf welcher Stufe Du schon früher in die Mehrheit des Ihr sich ehrerbietiger umgesetzt hatte, sich jetzt auf dieselbe Weise wiederholte, statt des fashionable gewesenen Er abermals dieselbe dritte Person der Mehrheit: Sie als höchste Entwickelung der correspondirenden Formel in Mode zu bringen. Denn einmal entspricht diese Verhöhnung aller grammatischen und logischen Gesetze, einen uns Gegenüberstehenden mit der dritten isolirten und ihn gewissermaßen wieder von uns entfernenden Person anzureden, der Gesinnungsart unserer Höflichkeitssprache überhaupt, wonach sie die Tendenz hat: sich immer so fern zweite Person sein würde, sich die entferntere Bekanntschaft in der dritten Person zu wünschen, und ihn deshalb in dieser auf Schrittweite gestellten Position sich respectvoll gegenüber bestehen zu lassen. Dann aber ist der Hang, diese dritte Person zuletzt sogar in der Mehrheit: Sie auszudrücken, ebenfalls aus dem allgemeinen Grundsystem der Höflichkeit herzuleiten. Eine einzelne Person gewissermaßen als eine Mehrheit von Personen zu behandeln und anzureden, dürfte die allergrößte Höflichkeit sein, die man nur immer in der Idee des Menschen erschwingen kann, und wenn das Sie eine Narrheit ist, so läßt sich doch, wie bei jeder, auch etwas Weisheit und metaphysische Ironie heraussophistisiren. Obwohl am Ende Niemand mehr sein kann, als »Er selbst allein«, so stecken doch in einem Menschen immer mehrere und sehr verschiedene Personen, die allerdings bei der Anrede und im Umgange zu berücksichtigen sind, besonders da im letzteren oft eine ganz andere Person heraustritt, als im Hintergrunde verhüllt bleibt, und
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für das einzelne
Die vielfältige Zahl in der Anrede ging Hand in Hand mit dem Gebrauch gewisser abstracter Sammelbegriffe, wie man die ehrerbietigen Personenumschreibungen: Euer Liebden, Euer Gnaden, u.s.w. nennen könnte, die schon sehr früh aufkamen, und mit denen sich auch jene argen Schönpflästerchen auf dem natürlichen Antlitz unserer Sprache: Dero, Ihro, als Nachahmungen des Italienischen loro, vostro verbanden. Zur Erfindung solcher Abstracta hatte sich zwar die Tua majestas gesellte sich noch immer der Singularis, während, aus oben angegebenen Gründen, das Gefühl deutscher Höflichkeit die Mehrheit verlangt. Aus derselben Anschauungsweise entstanden auch die Abstracta des Briefstils: Ew. Hochwohlgeboren, Ew. Wohlgeboren u.s.w., deren Abschaffung sich sogar der Liberalismus einmal zum Gegenstande der Opposition machte, womit es aber ebenso wenig glücken wollte, wie mit jener Revolte, welche in einer kleinen Stadt gegen den Gebrauch des Hutabnehmens ausbrach, die bekanntlich durch den Patriotismus der Hutmacher wieder vereitelt wurde. Jene Formeln sind uns einmal ans Herz gewachsen und entsprechen unserm ganzen gesellschaftlichen Treiben und Denken. Abstract ist diese Höflichkeit, weil sie völlig davon absieht, daß die Person, die sie gewissermaßen nur mit abgewandtem Gesicht sich anzureden getraut, sich ihr in unmittelbarster Nähe und zu allem freien Gebrauch der Gegenseitigkeit gegenüberbefindet. Indeß von Abwesenden sind ausgegangen«; »Seine Hochwürden haben gestern den Arzt rufen müssen«, sollte als lediglich bedientenhaft aus dem Sprachkatechismus jedes Gebildeten verschwinden
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. –
Wie die deutsche Höflichkeitssprache mit den wunderlichen Sprüngen eines Tanzbären sich allmählig zu constituiren gesucht, haben wir angedeutet.
life is too short to be long about the forms of it, so hätten wir einen Ausdruck unseres Umgangslebens, der auf eine ganz andere Grammatik und Logik begründet sein müßte. Was aber die Ausbildung unserer Umgangssprache gehindert und von dem eigentlichen Ideengehalt unseres Wesens abgesondert hat, ist zugleich der vorherrschend geistige Charakter unserer Sprache überhaupt, die nicht, wie die französische, die Fähigkeit besitzt, die eigensten Gedanken sogleich in courante Weltmünze, à la portée de tout le monde, umzusetzen. Man höre zu, wenn ein gebildeter und geistreicher Gelehrter, der wenig aus seinen Ideenkreisen herauszutreten geübt, in den Fall kommt, einem gewöhnlichen Bürger oder Handwerker etwas auseinanderzusetzen, was irgendwie einen ideellen Bezug und keine äußerliche Vorstellbarkeit hat; man wird finden, daß er sich bei weitem zu geistig für seinen Zuhörer ausdrückt, zu seiner eigenen Verlegenheit. Diese Trennung der intellectuellen Anschauung und der populairen Umgangssprache liegt
Das Verhältniß der deutschen Sprache zum wirklichen Leben ist ein noch unausgebildetes, und daher die künstliche Zwittergestalt unserer Umgangssprache, die, wie wir gesehen, für ihre heimathliche Verlegenheit immer neue fremdländische Wendungen und Verstecke aufsuchte. Unsere Sprache umgekehrten Bildungsstufe, als auf welcher Leibnitz zu seiner Zeit in den »Unvorgreifflichen Gedanken, betreffend die Ausübung und Verbesserung der teutschen Sprache« sie am geeignetsten für das wirkliche und gewerkliche Leben, am ungeeignetsten für den Gedanken und Gemüths-Ausdruck bezeichnete, indem er sagte:
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»Ich finde, daß die Teutschen ihre Sprache bereits hoch bracht,
Karl V. sagte, er wolle Spanisch reden mit dem lieben Gott, Französisch mit den Damen, Deutsch mit seinen Pferden. Diese durch die historische
von der Ausbildung der Sprache und Rede in Kindern und Jünglingen.
hoffränkisch teutsch gebracht.«
Er noch Sie, vorkommt, z.B. ›des Herrn günstiges Schreiben habe ich erhalten und daraus ersehen, daß der Herr das Büchlein zurückbegehre, welches ich von dem Herrn geleihet habe‹ u.s.f. Um nur nicht Er zu setzen, welches damals schon zu gemein schien, aber auch, um nicht zu viel zu vergeben, und Sie zu gebrauchen, welches nur noch für die fürnehmsten Personen bestimmt war, bequemte man sich lieber einstweilen zum steifsten Unsinn«. – Das abstracte Ceremoniell unseres heutigen Briefstils droht jedoch ebenfalls allem freien Gebrauch der Pronomina den Garaus.
Leibnitii Opera, ed. Lud. Dutens. (Genev. 1768.) Tom. VI. Pars II. p. 959.
Die Satzbildung ist das gestaltete Leben des Gedankens, seine Gliederfülle, aber nicht ein Magisterrock mit besponnenen Knöpfen, in den er hineingesteckt und, mit Zubehör von Stiefeln und Stulpen, Rohrstock und Schnupftabakdose, absichtlich eingekleidet und ausstaffirt werden soll. Die deutschen Schriftsteller haben sich mit ihren Perioden viel zu große Mühe in äußerer, und viel zu wenig in innerlicher Beziehung gegeben. Stände ein höheres gesellschaftliches Element in Wechselwirkung mit unserer Schreibart, so hätte sie nie zu klagen gegeben über die meilenlangen Perioden, die man kaum auf dem Papier mit dem Auge, geschweige denn mit dem geistigeren Organ, dem Ohr, übersichtlich auffassen kann. Denn der menschliche Gehörsumfang, auf den bei der Satzbildung Rücksicht genommen werden sollte, ist beschränkt. Das
Die innere Tonart einer jeden Darstellung, die aus der melodiegebenden Seele des Inhalts entspringt, muß vornehmlich die Satzbildung als das Nothwendige bedingen. Es giebt langsame und schnelle Tonarten des Gedankens. Im erstern Falle finden sich gehaltene, künstlichere und verschlungene Periodenreihen ein, das Epische und Pathetische herrscht vor; im andern kürzere, gedrängte, schlagfertige mit wenigstem Zwischensatz, ein drastischer Effect wird erstrebt. Beiderlei Tonarten werden sich fast in jeder Darstellung neben einander geltend machen, gesprochene Ausdruck der ganzen Darstellung nicht. Die deutsche Sprache, weil sie mehr eine geschriebene ist, neigt schon dadurch zu einer, größeren Verschlungenheit, einer überlegten und planmäßigen Periodisirung hin. Ist der französische Satz ein leichtgebildeter Weltmann, so ist der deutsche Periodenbau ein geistreicher Sonderling, dem auf seinem Gesicht ein einsames und vielfaltiges Brüten steht. In demjenigen Stil aber, der nur vom Gedanken beherrscht wird, kann die allzucomplizirte und gelehrte Periodenlagerung, der auch auf der gegenwärtigen Stufe der deutschen Sprache viel organisch Hinderliches entgegensteht, fortan kein gültiger Schematismus mehr sein, eben weil sie nichts ist als ein Schematismus. Einige Worte des Grafen Schlabrendorf, in seinen Bemerkungen über die Sprache, bezeichnen den allgemeinen Unterschied
Die Harmonie, welche in der Musik eine Totalwirkung mehrerer einzelner Reihen von Sätzen und Gegensätzen, eine Combination der Accorde und Intervalle ist, dürfte jedoch, in aller Ausdehnung absoluten Genitive, die im Altdeutschen entschieden vorhanden waren, sind ein Verlust für unsere heutige Syntax, der nicht genug beklagt werden kann, denn ohne absolute Constructionen läßt sich kein freieres Satzgefüge aus vielverschlungenen Perioden bilden. Radlof schrieb im Jahre 1812 eine »Aufforderung an alle denkende Schriftsteller, die Wiedereinführung der absoluten Genitive aus dem Altdeutschen betreffend«,
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doch wie soll man eine dem Leben der Sprache entwichene Form durch Verabredung oder stante pede, ein Zeichen, daß es in der Natur unserer Sprache liegt, bei absoluten Constructionen den Genitiv zu wählen, obwohl der urkräftigen Biegungsfülle des Gothischen auch absolute Dative eigen sind. Von Beispielen absoluter Genitive, die Radlof aus älteren Schriften, bis zur Zeit des dreißigjährigen Krieges, und auch noch aus neuern Ueberbleibseln des Kanzleistils, gesammelt hat, mögen hier einige stehen: »Der Sündfluß Noä, da die ganze Welt ersäuft ward, ausgeschlossen Noä mit seinen drei Söhnen«, Luther; »unangesehen desselben Vertrags, unterstund sich der Kunig«, im Wiß Kunig; »abgerechnet der Offiziere und Unter-Offizieren, werden die Gemeinen dem 13. Regiment zugewiesen«, bayerische Verordn. vom Jahre 1805–1806; »unerwogen aller Billigkeit verfahren«, bei Schottel; »daß Christus von einer Jungfrau, unverletzt ihrer Jungfrauschaft, geboren worden«, in unerforscht aller Umständ,« Hans Sachs; »unverschont ihrer aller«, derselbe; »er lässet die Kinder, unwissend der Mutter, aufziehen, Joh. Limberg v. Roden Reisebeschr. Lpzg. 1690. u.m.a.
Obwohl man anstehen könnte, diese angeführten Genitive für eine absolute Construction im Sinne der antiken Sprachen zu halten, eher behauptend, hier sei das Verbum adverbialisch oder wie eine Präposition, die den Genitiv nach sich zieht, gebraucht, so müssen doch solche und ähnliche Wendungen ohne Zweifel für eine schöne Bereicherung und Befähigung unserer Syntax zu prägnanten Satzgefügen gelten. Damit sei aber nicht ausgesprochen, daß ihre absichtliche Zurückführung in die laufende Production der Sprache gelingen könne, zu unternehmen sei, da man einmal an einer Sprache nichts retten kann und soll, was sie nicht selber festhält
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. Aus der Umschreibung und Auflösung sobald, nachdem, als, wofern etc, die besonders von Gottsched für eine klare Correctheit des Stils angesehen wurde, stammt aber die Partikel-Pedanterie und das Labyrinth der Zwischensätze, wodurch eine längere Periode in unserer Schreibart zu einem wahren Ungeheuer verzerrt werden kann. Versuche einiger Uebersetzer des Tacitus, namentlich Woltmann's, zur Erreichung tacitischer Kürze die absoluten Sätze auch deutsch mit einer Präposition zu geben, z.B. interfecto Lepido »nach ermordetem Lepidus« zu übersetzen, sind ebenfalls unwirksam
Die zweite Grundbedingung, neben dem eigenthümlichen Organismus der Sprache, ist die Einheit der intellectuellen Anschauung in der Periodenbildung. Man könnte sie auch die Einheitlichkeit der Scene im Satze nennen, unter welchem Namen sie besonders englische Rhetoriker, Bürger bestritt sogar die Lehre von der Einheit der Scene im Satze als etwas Unwesentliches
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. freilich zu einer Zeit, wo die deutsche Prosa nur wenige und spärliche Oasen in ihrer sonstigen Wüstenei aufzuzeigen hatte.
Der Athem des Gedankens ist der Beweger der Perioden, er muß sie abtheilen, gliedern, messen, verbinden, selbst ihren Klang bestimmen. Daher sind die bloß syntaktischen Satztheorieen, wie sie häufig aufgestellt werden, neuerdings besonders von Herling in seiner sonst so verdienstlichen und gründlichen »Syntax der deutschen Sprache«, eigentlich sehr unfruchtbar und zu Wenigem nütze. Auf der andern Seite aber darf die freie Schreibart nach dem Gedanken nicht aller organisch gegliederten Satzbildung sich enthoben meinen, und an das Extrem eines geistreichen Sanscülottenstils sich hingeben. Schriftsteller, wie Heine, Gutzkow,
Wiedererwachend des Eifers für Schriftenthum und Sprachen der alten, voran der gottbegeisterten Zeit, erwachte auch laut der Schmerz über die allgemeine Zerspaltung der Menschenzunge in so zahllose Sprachen, die, obwohl sie alle nur Eines und eben Dasselbe bezeichnen, dennoch je den einen Gedanken, z.B. Sonne, durch zahllose, sich ganz entfernte Wortlaute darstellen. Zerrissen der Sprache in Sprachen, des mächtigen allvereinenden Bandes, war auch aller Verkehr der Völker mit Völkern fremder Zungen und Zeiten unermeßlich erschwert worden.« etc.
Man könnte zweifeln, ob die heutige moderne Prosa, die bloß den Gedanken schreibt und durchaus keine rhetorischen Toilettenkünste mehr anwendet, noch um die Schönheit sich zu bekümmern habe? Was in den Handbüchern des deutschen Stils zur Gesetzgebung schöner Schreibart überliefert wird, ist allerdings ein unbrauchbarer Plunder geworden, aber auch von jeher gewesen. Die bisherige Stillehre war immer rhetorisch und oratorisch, und deshalb falsch, und vielmehr die Geschmacklosigkeit als den Geschmack bildend, Schönrednerei erzeugend, aber nicht schöne Darstellung. Unter allen Intentionen des menschlichen Geistes ist die Rhetorik die abgeschmackteste, besonders wenn sie, wie in Deutschland, nur einen
Eine solche Klingprosa, wie sie z.B. Engel schrieb, hat lange Zeit für ein Muster bei uns gegolten, und man ließ es sich gefallen, daß durch tönende Stellung der Wörter und kostbare Wendungen der Mangel an Gedanken gewissermaßen übertäubt wurde. Man bedachte nicht, daß ein Bettler, der sich in einen gefundenen Purpur einhüllt, kein Recht zu solchem Aufwand hat, sondern nur um so widerwärtiger an seine Blöße damit erinnert. Nur der Schmuck, den jeder Gedanke mit sich auf die Welt bringt, ist ihm zuständig
Es fragt sich daher, ob in der Wahrheit die alleinige Vollendung des Stils beruht, und nicht in der Schönheit? Die rhetorische Schönheit unserer Prosa hat sich überlebt, kein höher begabter Schriftsteller wird mehr danach trachten, kein inhaltreicher Geist kann eine Freude daran haben, sich mit Franzen und Tressen zu behängen. Ohne Schönheit wird darum keine ächte und aus ursprünglichem Leben entquillende Schreibart bleiben, die Schönheit der Wahrheit wird sie mit einem reizenden Duft und Hauch umziehen. Der Gedanke wird von Natur so viel Rosen treiben, als hinreichen, um den Namen seines Gegenstandes auf das Beet der Darstellung zu sticken, nicht zu überpacken. Denn um den Schatz des Gedankens aus seiner dunkeln Tiefe in die Erscheinung zu heben, Phantasie.
Hier könnten wir zuerst mit der Philosophie in Widerspruch gerathen, welche die Phantasie als etwas bloß Sinnliches der reinen Gedankenentwickelung gegenüberstellt, statt beide in Verbindung miteinander zu wissen. Diese Trennung der Phantasie vom Gedanken ist jedoch für die fachmäßigen Sonderungen eines Systems ersprießlicher, als sie im concreten menschlichen Geist, wie er leibt und lebt, wirklich begründet ist. Wie die Sprache überhaupt, als ein Licht- und Scheinkörper des Gedankens, aus dem allgemeinen Geistigen durch eine individualisirende Phantasie gestaltet, so ist der Satz, in den ein lebendiger Gedankenzusammenhang sich einordnet, ebenso sehr die sinnliche Gestaltgebung des Gedankens, als auch die einzige geistige Genugthuung desselben. Kein Gedanke ist an sich schon klar, er wird es erst durch den gestalteten Satz. Bild und Begriff, Phantasie und Schön heit, welche
Der Satz ist ein vollständiger Lebensorganismus, ein bewegliches Charakterbild, das alle Vortheile äußerer und heiterer Erscheinung in sich vereinigen muß. Er soll keine paraphrasirende Umschreibung seines Gegenstandes sein, sondern eine concrete Gestaltung desselben, eine Gestalt, die in allen ihren Theilen sichtbar und beleuchtet wird. Der Satz hat Gebärden, Töne, Farben, er vermag fast die Wirkungen aller Künste zu verbinden, besonders die der Malerei, vor deren allzu absichtlichen Effecten er sich jedoch am besten hütet. Die einfache le stile c'est l'homme, so wäre es doch noch richtiger und umfassender, zu sagen: der Stil ist die Sache. In der Sache erhält denn auch der Mensch und alles Individuelle seinen eigensten Ausdruck, und dies ist die beste Theorie des Stils, ihn an die Sache zu verweisen. Manche Schriftsteller sind zu subjectiv und darum zu einfarbig,
Ueber die künstlerische Vollendung des Stils giebt es keine Regeln, weil sie mit jedem Gegenstand wechseln, und selbst der äußere Wohllaut und Rhythmus von dem inwendig leitenden Gedanken abhängig gemacht und nüancirt werden müssen. Jeder Stoff bringt einen andern Ton des Stils, eine andere Musik, eine andere Scala, mit sich, ja auch jede Zeit, konnte man in gewissem Sinne sagen, hat ihren besondern Rhythmus und Numerus, der zu dieser oder jener Epoche einen verschiedenen Tonfall der Schreibart hervorrufen wird. Es ist dies das eigenthümlich bewegende Pathos der Seele, das in den freien Rhythmen der Prosa gerade am bedeutungsvollsten walten kann.
Der Numerus der Prosa ist ihr etwas ebenso Nothwendiges nach Außen, als die logische Gliederung1
Die eigenthümliche Melodie des Stils besteht in der Tonwandlung der
Der Sinn für die Melodie des Satzes ist bei den deutschen Schriftstellern selten, zu ängstlich sind sie dagegen um den Wohllaut der Wörter bekümmert. Grimm sagt in der Grammatik (II. 610.) sehr richtig: »Allgemeine Gesetze über Sprachwohllaut sind ein Unding; wie viel ihm im Deutschen verstattet werden darf, sollte ordentlich untersucht werden.« Das wilde Gestrüpp und Buschwerk der deutschen Wörterbildung erlaubt aber darin keine zu feinen Schmeicheleien des Ohrs, sondern fordert zur Gewöhnung an manche Klecksmalerei auf, in der sich freilich auch mehrere macchiatori der deutschen Prosa über alle Gränzen hinaus gehen lassen. Die Engländer, in der scharfkantigen, gebröckelten Einsylbigkeit ihrer Sprache, halten sich am wenigsten zu irgend einer Aufmerksamkeit für den Wohlklang verbunden, ihre besten Stilisten reihen ohne Sorge Wörter und Sylben dicht nebeneinander, die entweder durch Gleichlaut Wilhelm
von Humboldt bemerkt (in der Einleitung zu seinem Werke über die Kawi-Sprache S. 176.), daß der Betonungstrieb, oder der Drang, die intellectuelle Stärke des Gedankens weit über das Maaß des bloßen Bedürfnisses zu bezeichnen, im Englischen am allerstärksten vorhanden sei. So scheint die vorherrschende Richtung, durch den Accent im Ganzen eine scharfe und praktische Wirkung hervorzubringen, die Engländer stumpf und gleichgültig zu machen gegen die Beschaffenheit der einzelnen Sylben, ja oft gegen die Quantität derselben. »Nur mit dem höchsten Unrecht« – sagt Humboldt an der angeführten Stelle – »würde man dies einem Mangel an Wohllautsgefühl zuschreiben. Es ist im Gegentheil nur die, mit dem Charakter der Nation zusammenhängende, intellectuelle Energie, bald die rasche Gedanken-Entschlossenheit, bald die ernste
Sprachsauberer im Einzelnen sind jedoch die Franzosen, die besonders mehrere gleichlautende Sylben neben einander für einen Schmutzfleck auf dem eleganten Rock ihrer Rede halten, den sie selbst dann gern verhüten, wenn es nur mit Beeinträchtigung und knapperer Bezeichnung des Gedankens geschehen kann, wie von Rousseau bekanntlich Madame Necker behauptete, daß er den römischen Senat bloß deßhalb cette assemblée de deux cents rois genannt,
Mit der sogenannten Correctheit des Stils geht es wie mit der Tugend. Wo sie allzu absichtlich und bewußtvoll ihr Wesen treibt, wird sie zur Pedanterie und hat ihren Werth verloren, der in etwas Geheimnißvollem und Unverdüfteten beruht. Ein gar zu correcter Stil gleicht dem französischen Gartengeschmack, der glatte Laubwände schneidet, aber keine Natur duldet. Man geht an den nach schönem Maaß gestutzten Bäumen vorüber, die geraden Linien der Wege entlang, und sucht den Wald, aus dem eine Putzstube geworden. Durch diese künstlichen, hochgezogenen Hecken dringt selbst der Sonnenstrahl nur in matten Schlagschatten, bei aller Regelmäßigkeit der Vertheilung ist die Beleuchtung schlecht, und die Perspective dürftig. Freies Gehölz mit bewegten Zweigen, worauf Drossel und Finke schlagen,
Die Correctheit der Schreibart wird vornehmlich in zwei Dingen zum Fehler, einmal, wenn sie das Bestreben nach Deutlichkeit zu offenbar werden läßt, und das andere Mal, wenn sie in der Wahl ihrer Bilder und Beiwörter zu ängstlich mit der Prosa der Wirklichkeit rechnet, sich immer auf das strenge Maaß derselben zurückführend. Was die Deutlichkeit anbelangt, so soll man zwar mit der Absicht schreiben, nicht undeutlich zu sein, aber nicht mit der Absicht, deutlich zu sein, sowie Quinctilian sagt: – non ut intelligere possit, sed ne omnino possit non intelligere curandum; denn der Stil soll kein Interpret und Cicerone des Gedankens sein, sondern dieser selbst, und er darf nicht vorsätzlich noch hellere Lichter aufstecken, als die innere Beleuchtung und Deutlichkeit des Inhalts schon hat. Die Correctheit der Beiwörter, besonders was das bildliche Element daran betrifft, läßt sich schwieriger abfertigen oder bestimmen. Die Beiwörter sind die Farbengebung der Diction, aber zugleich die Blüthensitze für die schaffende laute Thränen weinen, als eine Katachrese zu mißbilligen sei? Nach strengster Wirklichkeit giebt es allerdings keine lauten Thränen, da der Tropfe im Auge keinen Ton hat, aber doch ließe sich das Beiwort vollkommen vertheidigen, insofern die ganze Anschauung, in weiterer Ergänzung des Bildes, richtig ist. Hier würde man die freie Beweglichkeit des Stils sehr beeinträchtigen, wollte man ihn zu einer pedantischen Umschreibung statt des prägnant andeutenden Beiworts nöthigen. Mit der grammatischen Correctheit im Gebrauch der Adjectiven sieht es in allen Sprachen schlecht aus, und die Grammatiker müssen sich entschließen, dem productiven Bedürfnisse des Stils allen Spielraum zu lassen. Wenn König Lear von den Fürsten Frankreichs und Burgund sagt (1 Akt, 1. Sc.): Long in our court have made their amorous sojourn, so ist auch im Deutschen ein
In der Wahl der Beiwörter sind die bildlichen mehr aufzusuchen, als die abstracten, denn die bilderstürmerische Correctheit der Schreibart hat immer nur graue Regenwolken des Stils und Canzlei- und Compendiensprache erzeugt. Die Beiwörter müssen das schöne feste Fleisch des Satzes, das Blühende und Jugendliche an ihm, sein, aber nicht die fahle Runzel des reflectirten Nachdenkens über sich selbst, der welkmachenden Abstraction. Jean Paul, ein großer Poet der Beiwörter, sagt in seiner Aesthetik sehr bezeichnend: »die Beiwörter, die rechten und sinnlichen, sind Gaben des Genius; nur in dessen Geisterstunde und Geistertage fällt ihre Säe- und Blüthenzeit. Wer ein solches Wort erst sucht, findet es schwerlich. Hier stehen Goethe und Herder voran, auch den Deutschen, nicht nur den Engländern, welche jede Sonne mit einem Umhange von beiwörtlichen Nebensonnen und Sonnenhöfen verstärken. Herder offne Wonne mit entsetzlichen Schmerzen, mit eisernen Händen der Hölle durch.« Wie wird man dadurch dem gemeinen Gepränge brittischer Dicht-Vornlinge noch mehr gram. – So ergrauen auch Geßner's verwässerte Farben gegen die festern, hellern im Frühling von Kleist.« –
Ein schöner und correcter Stil bestand sonst in der sorgfältigsten Beobachtung jener stilistischen Figuren, wie Repetition, Exclamation, Aposiopese, Ellipse, Annomination und vieler anderer, die, meistentheils der Rhetorik der Alten entnommen, in allen Lehrbüchern des deutschen Stils sich aufgezählt finden, und deren Erörterung bei
Die bisherigen Bemerkungen über die Kunst der deutschen Prosa suchten vornehmlich ihre zeitgemäße Stellung zu bezeichnen, in der sie von Seiten der Sprache, der Literatur und der Gesinnung eine eigenthümliche Bildungsstufe gegenwärtig darstellt. Diese Eigenthümlichkeit, hauptsächlich in der Durchbrechung der Schranke zwischen Poesie und Prosa nachgewiesen, tritt immer entschiedener heraus, und gestaltet jetzt mit vorwaltender Neigung eine Literatur der Prosa, in welcher der schaffende poetische Geist der Nation am mächtigsten wird, in der die Ideenbewegung der Zeit vorzugsweise ihre Sache führt, der andern literarischen Formen sich entschlagend. Die moderne Prosa beginnt mehr Neuheit in den Melodien und Combinationen ihrer Sätze, mehr Schönheitsreiz in ihren Wendungen
Eine genügende Antwort auf beide Fragen, die zugleich Kunst und Werth der modernen Prosa im gerechten Lichte erscheinen lassen muß, sind wir zu geben im Begriff, indem wir im folgenden Abschnitt zu der Entwickelungsgeschichte der deutschen Prosa übergehen, um in historischer Folge die nebeneinanderschreitenden Verhältnisse von Sprache, Literatur und Darstellung vorüberzuführen.
Jede Epoche bringt ihre Uebelstände mit sich, jeder Fortschritt hat seine Rückseite, wonach man ihn immer, vom umgewandten Standpunkt aus, für ein Verderben bezeichnen könnte. Die Einfachheit,
Der Inhalt, als einziger Meister, Schöpfer und Alleinherrscher des Stils, vermag auch der Diction allein Gränzen zu setzen, sie zu erweitern oder zu beschränken. Was der Inhalt gebietet, weil es für ihn nöthig ist, muß die Diction leisten, werde auch eine Tonart oder ein Stil daraus, welcher es wolle, und die deutsche Sprache hegt so viel Hülle und Fülle von Production, Witz und Gesinnung schon in ihrem Sprachhaushalt, daß sie
Die Bibel und die Canzlei sind die beiden hauptsächlichsten Lebensquellen deutscher Sprache und Darstellung, die Ausgangspuncte ihrer Geschichte, die leitenden Sterne, die bei ihrer Geburt geleuchtet haben. Das religiöse Element der deutschen Nation bildete am meisten auch ihre Sprache, und von der Bibelübersetzung des Ulphilas bis zu der Luther's, in welcher sich die verworrene Völkerwanderung deutscher Mundarten zuerst in ein festes und einheitliches Bett ergoß, hat das Christenthum vorzugsweise unsere Sprache und Literatur in Bewegung gesetzt. Die Reichsverhandlungen und die Landesgesetze halfen zuerst die Sprache des wirklichen Lebens heranbilden. So entstand jene Mischung von wichtighuendem, gründlich auseinandersetzenden Canzleiton und körniger, erbaulicher,
Das Verhältniß der deutschen Sprache zur Kirche, welches ihre erste Bildungsstufe im carolingisch-fränkischen Zeitalter ist, wurde jedoch durch eine mächtige Nebenbuhlerin, die lateinische, theils an einer ganz originellen Entfaltung gehindert, theils mit fremden Stoffen durch sie gefärbt. Die griechische Grazie und Wortschönheit des silbernen Codex, aus dem vierten Jahrhundert, ging, unter Karl dem Großen, in latinisirende Wendungen und Nachahmungen über, und Karl selbst, als er statt des Schwertes die Feder nahm, machte in seinen deutschen Schriften und Uebersetzungen unsere Sprache zur Sclavin lateinischer Constructionen. Alle Eigenheiten derselben, die lateinische Wortfolge, die Partizipien, die Auslassung der Artikel und Hülfswörter, selbst die Flexion der Endungen, wurden mit ängstlicher Beflissenheit 1
Rom's gebrochene Weltherrschaft bemächtigte sich doch noch mit unabweislichem Einfluß der ersten Keime einer neuen Stammsprache, und impfte sich begierig in die Natur derselben ein, während sie im Dunkel der deutschen Klöster, wo sich die antike Gelehrsamkeit festsetzte, noch gefährlichere Intriguen gegen die Entwickelung der modernen Ursprache spann. Die Geistlichen suchten die deutsche Sprache, die von ihnen nur eine lingua agrestis genannt wurde, in Verachtung zu bringen und zu erhalten, und Karl der Große, der eine deutsche Grammatik schrieb oder schreiben wollte, that doch nichts für die ausschließliche Aufnahme der deutschen Sprache in den öffentlichen Gottesdienst.
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Das lateinische Element hatte sich aber zu tief in die christliche Kirche eingeätzt
Das lateinische Muster, das unserer Sprache in dieser frühen Periode aufgedrückt wurde, brachte ihr jedoch auch manchen Vortheil, weckte die schlummernden Fähigkeiten ihrer Biegung und Wandelung, und ließ ihre unendliche Elastizität schon damals hervortreten. Jede Sprache nimmt in der Weichheit ihres Kindesalters die Eindrücke einer andern, bereits gebildeten, die zugleich im Zenith der herrschenden Weltanschauung steht, mit offenem Sinne an, und was sie sich auf diesem Wege zueignet und in ihr Fleisch und Blut verwandelt, gehört ihr unbestritten wie ein Theil ihrer selbst. Die ersten Sprachversuche der Völker entbehren aller bestimmten Wortfolge, die Gedanken fügen sich noch mit dem Vertrauen, durch die sinnliche Gebärde ergänzt zu werden, elliptisch und ohne alle grammatische Verknüpfung aneinander. Diejenigen geistigen Elemente, an denen sich dann zuerst das Bewußtsein bildet, bestimmen auch die Grammatik der Sprache, de nativitate Domini, Kero's Verdeutschung der Regel des H. Benedict, Otfried's gereimtes Evangelienbuch, Notker's Uebersetzung der Psalmen, und Willeram's hohes Lied wirkten am bedeutendsten auf die Ausarbeitung dieses frühesten Sprachcharakters. Oblatz uns skuldi unsnero (aus dem allemannischen Vaterunser.) – unlustidet mi, es verdrießt mich. – der piteilta, der beraubt hat. – arbluhitos, du entbranntest. – ci leipu, die übrig bleibenden (leipon, λείπειν) – gimiscemes, laßt uns vermischen. – luitlichun, öffentlich, vor den Leuten. – ni bist pihabet, du wirst nicht ergriffen. – casinde sine, sein Gesinde. – werchmahtigi, Werkmächtigkeit, (wie Notker magnificentia übersetzte). – duruhsuinlih, durchsichtig, (Uebersetzung von perspicuum est in den S. Blasischen Glossen) – anastantantlih, inständig, (Uebersetzung von instanter, bei Kero.) – daz pimurmilotin (bemurmelten) die eristen, darüber murmelten die ersten (aus der Predigt eines ungenannten Mönchs im zehnten Jahrhundert. – Fater unser, thu in himilon bist, Wih si namo thiner. Biqueme uns thinaz richi. Gi willo thin hiar nidare so ser ist uf an himile, beginnt das Vater unser bei Otfried; bei Notker, ungefähr Vater unsir du in himile bist. Din Namo werde geheiligot. Din rich chomme. Din wille giskehe in erda also in himile.
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Die Nachstellung des Pronomens hinter dem Hauptwort möchte sich nur noch im Vater unser bis auf den heutigen Tag im Munde der Deutschen erhalten haben. –
Das poetische Blut und Gemüth unserer Sprache trieb im Zeitalter der schwäbischen Kaiser aus den frühlingsfrischen Wortstämmen einen Blüthenwald hervor, den wir heut nur noch mit staunender Verwunderung aus den Minnesängern herüberrauschen hören. Gegen unsere Zischlaute und Consonantenhärten, unsere abgestutzten Endungen, unsere welken Constructionen und ausgeschliffenen Wortfügungen, muß es uns vorkommen, als hätten unsere glücklicheren Altväter eine Sprache der Götter geredet, als sei ihr ganzes Leben und Denken diae liute sind gelandet wol, die lant niht wol geliuhtet, die Leute sind mit Ländern wohlversehen, aber die Länder nicht wohlversehen mit Leuten. (Sammlung von Minnesingern, Zürich 1758. Thl. 2. S. 151.) Rinkenberg nennt Gott sehr schön:
Swas ie kein man zer werlte wunne enphangen hat Das ist ein niht ich was gewert, was nur je ein Mann in der Welt für Wonne empfangen, es ist ein Nichts (
Die geschichtlichen Veränderungen, welche mit dem deutschen Leben vorgingen, ließen das schwäbische Zeitalter unserer Sprache, und mit ihm ihre poetische Jugend, schnell ablaufen. Die Sprache des Ulphilas war das geheimnißvolle Flüstern unserer Urwälder, die Minnesänger hatten die Wälder gelichtet, mit zierlichen, grünen Pfaden durchbrochen, den heitern blauen Himmel hereingelassen, und eine Harmonie in und mit der Natur, bevölkert von allen Genien der Phantasie, der Liebe, deutsche Canzleisprache und gewann eine eigenthümliche Bedeutung für unsere Literatur und Sprache überhaupt. Der Gebrauch der deutschen Sprache in den öffentlichen Verhältnissen erhielt erst mit Rudolf von Habsburg, der sie durch eine bestimmte Vorschrift bei der Canzlei einführte, einen feststehenden Charakter, wenn ihre Anwendung auch schon vor diesem Kaiser in diplomatischen Urkunden nachgewiesen werden kann. Die deutsche Canzleisprache war die erste Einwirkung, eine prosaische Gesammtsprache für die Nation und das bürgerliche und gesellschaftliche Leben hervorzurufen. Dieses Ziel wurde freilich damals noch nicht erreicht. Die provinzielle Zersplitterung der Deutschen verrieth sich schon durch das Chaos ihrer Mundarten, und obwohl das Oberdeutsche bis dahin stets eine geistige Herrschaft ausgeübt hatte über alle Nebendialekte, und auch durch Rudolfs Canzlei zur Sprache des Reichstags und der Landesgesetze erhoben war, so wollten doch damit die Mundarten Sachsenspiegel, der schon lange vor Kaiser Rudolfs Regierungsantritt, um das Jahr 1220 durch Eike von Repgow zusammengetragen wurde, zeigte zwar das Bestreben, sogar das sächsische Landrecht an die schwäbische Mundart zu fesseln, aber die Sprache war schwankend, gemischt und fand im nördlichen Deutschland keinen Anklang. Ein ausgebildeteres Denkmal der Prosa, die sich aus diesen ersten Bewegungen des bürgerlichen und städtischen Lebens erhob, war der im letzten Viertel des dreizehnten Jahrhunderts entstandene Schwabenspiegel. Der schwäbische Dialekt zeigt sich in diesem oberdeutschen Landrecht von einer außerordentlichen
Das Zeitalter der Prosa regte sich in der Sprache wie in den Zuständen. An den Deutschen änderte sich um diese Zeit Alles bis auf die Kleider, und steckte sich in die Tracht des bürgerlichen und geschäftlichen Lebens. Nur die Gewerbe und Zünfte blühten, und die poetische Blüthe des Lebens nahm in den Meistersängern einen gewerblichen und zünftigen Charakter an. Nachdem das dichterische Element der Höfe und der Aristokratie geschwunden war, mußte die Poesie in der Mitte der städtischen Verhältnisse sich einbürgern, und wurde ein schönes Handwerk. Der polizeiliche Anstrich, den das ganze Leben nahm, brachte auch in der Dichtkunst jene Tabulaturen der Meistersänger hervor, welche am besten die vorgegangene Umkehrung in der Sprache und Production des deutschen Geistes charakterisiren. Der Landfrieden, das Kammergericht, die Handelsinteressen, die reichsstädtische Behaglichkeit und steife Naivetät, die theologischen und scholastischen Haarspaltereien, die immer zunehmende Vermischung der Stände, die Bedürfnisse des praktischen abenden, Abend werden, anhaupten, mit dem Haupt berühren, barten, einen Bart bekommen, guoten, sich bessern, gut werden, louben, Laub gewinnen, und unzähligen anderen,
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hörte gänzlich auf zu schaffen. Durch die an ihrer Stelle nöthig werdenden Umschreibungen ging die Kürze der Sprache verloren, die Ellipsen hörten auf, der Artikel und das Pronomen nahmen eine bestimmte Stellung vor dem Hauptwort ein und konnten nicht mehr, wie sonst, hinter demselben stehen. Die ganze Grammatik der Sprache rüstete
In dieser ersten Gegenüberstellung von Poesie und Prosa konnte eben der feindlichen Sonderung wegen noch keine Blüthe der Prosa, keine innerliche Bedeutsamkeit derselben, entstehen. Die deutsche Canzleisprache war eine gute Bildungsschule der deutschen Prosa, aber es bedurfte eines andern Inhalts, um die deutsche Darstellung zu heben oder nur eine Vereinheitlichung der Dialekte zu Stande zu bringen. Bedeutender hätte die romantische Prosa der Volksbücher, die vorherrschend schwäbischer Mundart war, auf den Geschmack wirken können, aber diese blieben, wie es schien, zu sehr entfernt von einem eigentlich literarischen Einfluß. Die Volksbücher stellen den unmittelbarsten Uebergang der Poesie in die Prosa dar, indem sie die Auflösungen der alten Ritterbücher in populaire Erzählungen sind. Je näher diese Novellen noch ihrer ursprünglichen poetischen Quelle stehn, wie Gesta Romanorum ist hier besonders zu nennen. – Diese Novellenprosa schlängelte sich neben der Hauptstraße der laufenden Literatur wie ein romantischer Seitenpfad hin, ohne in nähere Berührungen mit derselben zu treten. Man kann ihre lieblichen Erzeugnisse, die recht in den Hütten des Volkes und seiner Sympathie mit der poetischen Vergangenheit nisteten, bis in das siebzehnte Jahrhundert hinein verfolgen, wo freilich ihre Spur in den Carikaturbildern der nun entstehenden Romane unterging. Die ganze romantische Unschuld dieser Prosa offenbart sich noch Buches der Liebe, (im Jahre 1587 in Frankfurt am Main von dem Buchhändler Feyerabend herausgegeben,) welches die reizenden Erzählungen von der schönen Magellone, dem Kaiser Octavianus, Flos und Blancheflos und m.a. enthält.
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Was die Minnesänger für die Poesie der Sprache gethan, geschah für die Prosa durch die Mystiker des vierzehnten Jahrhunderts. Man könnte den genialen Dominicanermönch Johann Tauler den Minnesänger der Prosa nennen. Die Sprache des Waldes, der Liebe, der Träume, der Nachtigallen war mit Conrad von Würzburg in Deutschland verklungen, da erhob sich die Sprache der stillen Zelle, der Andacht, der mystischen Gottinnigkeit. Die christliche Mystik wurde der bewegende Inhalt, der nicht nur die Prosa zu einer höhern Kunst ausbildete, als es die deutsche Canzlei vermochte, sondern auch an der Sprache ganz neue und höchst bedeutsame Elemente entwickelte. Dies war das speculative Wesen der deutschen Sprache, das plötzlich in ihr zu schaffen anhub. Die irdische Schönheit
Das Haupt dieser Polemik war Tauler, der erste Philosoph in deutscher Rede. Er wurde um das Jahr 1294 in Cöln, nach Andern in Straßburg, geboren. Sein Leben ist dunkel, er scheint in Paris, wohin er noch als Dominicanermönch reiste, geistliche und gelehrte Studien in großer Ausdehnung gemacht zu haben. Nur sein Tod zu Straßburg am 17. Mai 1361 wird durch das sein Bildniß tragende Grabmal in jener Stadt verbürgt.
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Tauler's Sprache charakterisirt ihn zunächst als den sinnreichen Wortbildner, der sich mit probuctiver Kühnheit für neue Gedanken neue Bezeichnungen schuf. So schwankend auch seine Grammatik im Einzelnen war, ein so festes und eigenthümliches Gepräge hatte ihr geistiges Wesen, das sich dem mystischen und abstracten Inhalt mit nicht geahnter keit und heit, die den mystischen Vorstellungen auf eine neue Art dienten und zu schöpferischen Zusammensetzungen benutzt wurden, in denen Tauler mit großartiger Energie waltete. Solche Ausdrücke wie Befindlichkeit d.h. das Existirende, Alles was sich vorfindet; Liebmüthigkeit, die Neigung gute Werke zu thun, ein Charakter der zu Liebeswerken geneigt ist; Empfänglichkeit, ein zuerst von Tauler gebildetes Wort, welcher sagte, unser Geist sei lauter Empfänglichkeit; Ungeschaffenheit, Alles, was nicht erschaffen ist; Unversüchligkeit, der Zustand, der noch keine Läuterung und Prüfung durch Versuchungen erfahren hat, Gutdunkenheit, Unwandelbarkeit, Wesentlichkeit, Danknemigkeit, Innerheit, Ingossenheit, Abgeschiedenheit, Verborgenheit, Willenlosigkeit, mueterlich Berhaftigkeit (von der Jungfrau Maria)
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und viele andere, entsprangen der termini metaphysicales im Deutschen.
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Die Sprache Taulers dünkte seinen Zeitgenossen so süß, daß sie ihn den Zuckerprediger nannten. Sie waren daher gewiß gewohnt, seine Rede in der heimischen Mundart von ihm zu vernehmen, und alle Zweifel, die darüber erhoben worden, ob die Sprache in Tauler's Predigten seine eigene und ursprünglich von ihm herrührende, dürfen uns in diesem Besitzthum nicht stören. Der Titel der ältesten Leipziger Quart-Ausgabe von 1498: »Sermon des großgelarten in gnaden erlauchten Doctoris Johannis Thauleri predigerr ordens, weisende auff den nehesten waren wegk, yn geiste tzu wandern durch vberschwebenden syn, unvoracht von geistes ynnigen vorwandelt in Deutsch manchen menschen zu selikeit«, weist allerdings deutlich darauf hin, daß ein doppelter Text der Taulerschen Predigten mußte vorhanden sein. Man muß jedoch annehmen, daß, nach der Sitte seiner Zeit, lateinisch aufschrieb, auf der Kanzel aber ohne Zweifel deutsch gehalten hat. Viele seiner Vorträge sind in dem deutschen Text, in dem sie verbreitet wurden, von seinen Zuhörern nachgeschrieben, wodurch sich auch die Abweichungen und Verschiedenartigkeiten mehrerer Texte erklären. Auch giebt es ins Niedersächsische übertragene Texte, die unglücklicher Weise einigen Herausgebern deutscher Mustersammlungen als wirkliche Proben der Tauler'schen Originalsprache gedient zu haben scheinen. Der Uebersetzer der lateinischen Concepte des Tauler hatte aber in dessen weitverbreiteten mündlichen Vorträgen den sichersten Anhalt, seine Sprache auch deutsch in originalgetreuer Form wiederzugeben. Daß Tauler allein es war, der den merkwürdigen Umschwung der Sprache im vierzehnten Jahrhundert hervorbrachte, erhellt aus allen übrigen ihm verwandten, und in seinem Geist und Ton abgefaßten Schriften dieser Zeit, worin sich beständig Hinweisungen auf ihn finden. Die schöne und verzückte Nonne zu Maria-Medingen, Maria Ebnerin, und Heinrich von Nördlingen, der ihr eine Schaale sandte, worin sie die süßen Thränen ihrer Andacht und Himmelsberauschung für ihn einsammeln mußte, sind hier als die bedeutendsten Wahlverwandten Taulers in seinem Jahrhundert zu nennen. Sowohl die Selbstbiographie, die diese begeisterte Klosterjungfrau hinterließ (herausgegeben von P. Sebastian Schlettstetter zu Schwäbisch Gemünd 1662), als der mystische Briefwechsel, den Heinrich von Nördlingen mit ihr geführt hat (abgedruckt in Heumanni opuscula, Nürnberg, 1747. S. 351–404.) reden eine der tauler'schen in jeder Hinsicht ähnliche Sprache, und waren die am bedeutsamsten mitwirkenden Elemente, aus denen die Sprachumbildung dieser Epoche hervorging. Nach ihnen kann noch Otto von Passau, der Lesemeister der Barfüßer zu Basel, angeführt werden, der, verstandesnüchterner als Tauler, aber doch in seinem Sinn und von ihm angeregt, das Buch »Die vier und czweinczig Alten oder der guldin Tron« im Jahre 1386 herausgab. Dieser güldene Thron ist das erste Denkmal einer schönen, gediegenen, didaktischen
Die deutsche Sprache war damals im Zuge, sich eine philosophische Ausdrucksfähigkeit zu schaffen, die ihr theils in einer spätern Zeit wieder verloren ging, theils häufig an ihr bezweifelt wurde. Was Leibnitz in seinen Unvorgreifflichen Gedanken wünschte und vermißte, daß die logischen Kunstwörter völlig deutsch und ohne eine fremde Terminologie gegeben werden könnten, eine noch heutzutage unerreichte Anforderung, das schien sich schon im vierzehnten Jahr hundert in ganz einfacher Weise aus unserer Sprache zu ergeben und als erreichbar zu zeigen. Außerordentlich merkwürdig ist in dieser Beziehung die theosophische Abhandlung eines ungenannten Verfassers, der in dieser Zeit die verwickeltsten und abstractesten Begriffe, für die man sonst nur scholastische Formeln hatte, in einer unvermischten, ächt deutschen Auseinandersetzung und mit einer gewissen Eleganz der Darstellung klar zu 4
Eine Stelle daraus möge hier Platz finden: »Ich sage, daz etwaz sei in der Sel, daz so edel sei, daz sein Wesen sein vernvnftig Wurkhen sei; ich spriche, daz ditz seilich sei von Natur. Daz ist war, daz ein jeslech vernvnftlich Wesen muz seilich sein von Natur; darume heizet es dus, ein wurckende vernvnft. Vraget man nv, seit der Mensche hie inne seilich sei nach sinem höchsten Teil, warvmb er denne alzemal niht seilich sei? So antwortet man alsus darzv, vnd sprichet von einer andern Vernvnft, die heizet ein mvglich Vernvnft, die gemein ist dem Geist in der Weise, alz er zeit berurt in dem Leichname. Mohte nv .... daz die Vernvnft sich ainvaltich mochte keren sonder Mittel zu der wurckenden Vernvnft: so wer der Mensche hie alz seilich, als in dem ewigen Leben, wan daz ist Seilikeit des Menschen, daz er bekennet sin aigen Sein in der Weise der wurckenden
Diese Bestrebungen erscheinen zugleich als die bedeutendsten Vorarbeiten zur Entwickelung der neuhochdeutschen Prosa, die in Luther's Bibelübersetzung ihren Canon erhielt. Die besondere Vorliebe, welche Luther und Melanchthon für Tauler's Schriften hegten, ist bekannt. Luther vornehmlich hat den Dominicaner nicht nur oft gelobt und angeführt, sondern auch in seine eigenen Schriften manche Sprüche und Gedanken Tauler's aufgenommen. Die Wichtigkeit dieses Autors, welcher der Repräsentant einer ganzen Epoche ist,
Die ewig warheit vnßer lieber herre jesus christus hat gesprochen: mein joch das ist suße, vnd mein burde die ist leichte. Diser warheit widersprechen alle naturliche menschen also ferr, als sie die natur tregt, vnd sprechen, das gotes joch bitter sey vnd seine burde schwere. Vnd muß es doch war sein, wan es hat die warheit selber gesprochen! Wan ein Ding, daz do sere druckt, vnd das man schwerlich nach im tzeucht
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, daz heist ein burden. Kinder, bey dem joch nympt man den inwendigen menschen und bey der burden den auswendigen menschen. Der inwendig edel mensch der 6
hat von natur, das mag die sele erkriegen von gnaden. Nun, kinder, wie der ewig got in dem inwendigen grunt gegrunt hat
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, vnd vorborgen vnd vordeckt leyt, welher mensch daz finden mochte vnd erkennen vnd beschawen, der were onn allen tzweifel selig. Vnd wie das ist
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, daz der mensch seine inwendig gesicht der sele vorkeret vnd irre geet, doch hat sie ein ewiges locken vnd neigen dartzu, vnd kan kein rue finden noch haben, wan
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alle ding 10
seine wissen. Wan diß ist ein End.
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Als alle dingk rasten vnd ruen an yr eigen stat, als der stein auff der erden vnd das fewer in der lufft, also thut die liebe andechtige sele yn got, yrem heil. Wem ist nu diß joch suße vnd leicht, vnd diß tzihen und diß trahen? – niemandt sicherlich, dan den menschen, die yr gemuthe haben gekeret inwendig in den lauteren grunt gotes von allen creaturen! Kinder, die sele ist recht ein mittel zwischen tzeit vnd ewigkeit. Keret sie sich tzu der tzeit, so vorgist sie on tzweifel der ewigkeit, vnd werden yr dann alle dingk ferre,
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die got tzu gehoren. Also tzu gleicher weiße alle dingk, die man ferre sicht, die scheinen dem menschen klein, vnd was do nahe ist, das scheinet groß. Wan es hat wenigk mittels, 13
; vnd wie klein das mittel ist, das do tzwyschen dez kleinen spiegel vnd der grossen sonne keme, daz neme dez spigel das bilde der grossen sonne tzuhandt.
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Also tzu gleycher weiße ist es vmb den lautern menschen, der das mittel gelegt hat. Es sey was es sey, ader wie klein das ymmer gesein mag, das der mensch in dem grunt der warheit nit kan noch mag gesehen,
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on allen tzweyffel, das mittel, 16
Nu, lieben kinder, wisset, in welcher sele sich der ewige gütige got erspiegeln sal, die muß bloß sein vnd lauter, vnd gefreyet von allen bilden. Vnd wo sich ein einig bild yn dyßem spiegel weiset vnd tzeiget, do wirt die sele des waren bildes vermittelt,
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das do got lauter ist. Nun alle die menschen, die diser bloßheit in yn nicht warnemen, das sich diser verborgen grunt in yn nit entdecken vnd entbilden mag, inwendig der vornufft der sele, dise menschen sein alle kuchendirne
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vnd kuchenknechte, vnd denselben menschen ist das joch bitter. Vnd wer nye darin gesach,
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vnd sich ym mussigen vnd die bilde ablegen, das sich die sonne in yrem inwendigen grunde der sele ergiessen magk, denselben menschen ist das joch gotes suße vnd vber alle suße. Vnschmecklich vnd bitter vnd widertzeme ist yn alles das, das gote nicht lauter ist, in yn selbs vnd in allen creaturen. Ja in der warheit, alles, das sie ye geschmeckten oder empfunden haben, den sein alle dise werck ein bitter galle. Wan wo diser edeler grunt geschmeckt wird, der tzeucht ßo sere den edelen menschen, er 21
Nun, kinder, wurumb hindern den menschen die ding, domit er vmbgheet in der tzeit? Daz ist: das du mit den dingen bist vorbildt mit eigenschafft. Werestu des bildes vnd der eygenschafft ledig vnd frey vnd vnbekommert, wysse yn der warheit, hettestu ein konigreich, es schadet dir tzumal nichts. Kinder, seyt on eigenschafft vnd bildeloß vnd ledig vnd frey vnd onbekommert mit allen creaturen, vnd hab, mit verlaub, wes du bedarffts mit eyner notdorfft, die gemischt sey mit demutikeyt yn gotlicher forcht, so gann dir der ewig got wol deiner notdorfft; on tzweifel, hastu seine nicht, ßo getraw dem herren, er sal vnd muß dich wol vorsorgen, vnd sold es durch vnvornufftige creatur gescheen; er vorlest der seinen nicht, als wenig als er die ewykeit lest. Kinder, man findt von einez altuater
Beck, Disputatio de Jo. Tauleri dictione vernacula ac mystica (Argentor. 1786. 4) und Bouterwek, Geschichte der deutschen Poesie, Thl. I. 489 flgd.
Gervinus in seiner Geschichte der poetischen Nationalliteratur der Deutschen, Thl. II. S. 146, darüber bemerkt.
Das man schwer nach sich zieht. –
got, was ohne Zweifel nichts als eine erläuternde Paraphrase des mystischen Ausdrucks minniglich grunt ist, weshalb wir der ächten, durch unsere Ausgabe gebotenen Lesart den Vorzug ließen.
sich gegründet, sich einen Grund erschaffen hat. –
obschon. –
weil, denn, doch kann diese Partikel, die sehr verschiedene Bezeichnungen annimmt, oft auch durch sondern in Nachsätzen übersetzt werden, wie an dieser Stelle gleich das nächste Mal. –
an, ane, mittelhochdeutsche Präposition: ohne. –
Denn dies ist das Ende aller Dinge.
fern, von ihr abgewandt.
kleines Grundbild. –
Es nähme dem Spiegel alsbald das Bild der großen Sonne hinweg. tzuhandt (auch zehant geschrieben) bedeutet: alsbald, und ist in diesem Sinne von: zur Hand sein, abgeleitet.–
Aeußerliches, das der Mensch nicht aus dem innern Grunde der Wahrheit in sich aufgenommen, und welches daher als ein fremdes Medium (Mittel) den Spiegel seiner Seele trübt. –
machen mittel) dem unerschaffenen Bilde in uns, welches Gott selber ist. –
Küchendirnen. –
nie angeschaut hat – von der mystischen Anschauung zu verstehen. –
reumen, auch raumen, bedeutet in der mystischen Sprache so viel als reinigen, säubern. –
Langsamer und weniger eigenthümlich, als die Sprache der Zelle und der philosophischen Klause, bildete sich die Sprache der Städte, der Wirklichkeit. Aus den Chroniken und moralischen Tractaten des funfzehnten Jahrhunderts ersieht man noch am meisten, welchen Ausdruck das wirkliche Leben um diese Zeit gehabt. Johann Rothe, ein Mönch zu Eisenach, gab in der ersten Hälfte des funfzehnten Jahrhunderts eine thüringische Chronik heraus, welche für die früheste Erscheinung eines Geschichtschreibertalents in Deutschland gelten kann. Dieser Mönch, der sich auch als Dichter bekannt gemacht, bewies schon eine Feinheit und Anmuth historischer Darstellung, die besonders in Portraitzeichnungen auf eine merkwürdige Weise glücklich 1
Johann Rothe hatte in seine prosaische Darstellung etwas von der Legendendichtung mit hinübergenommen, in der er sich auch sonst versuchte. Strenger und pragmatischer bildete sich die historische Prosa durch Johann Thurmayer, genannt Aventinus
baierische Chronik erst lateinisch, dann deutsch herausgab. Sein gebildeter Chronikenstil verräth eine Kenntniß und durchdachte Musternehmung der antiken Geschichtschreiber, und besonders Tacitus scheint ihm bisweilen vorgeleuchtet zu haben. Neben ihm könnte noch die Chronik der burgundischen Kriege von Diebold Schilling genannt werden, um die historische Anschauungs- und Ausdrucksweise des funfzehnten Jahrhunderts zu umzeichnen.
Die Sprache des bürgerlichen und gesellschaftlichen Lebens in diesem Jahrhundert redet in ihrer ganzen Naivetät, treuherzigen Derbheit und schalkhaften Ehrbarkeit aus dem Ehestandsbuch des Albrecht von Eybe (Ybe) uns an. Dies ist eines der merkwürdigsten und seltensten Denkmäler dieser älteren Prosa. Der Verfasser giebt sich in der Vorrede seines ohne Titel erschienenen Werkes als »in baidế recht doctor, Archidiacon zu Wirczburg vnn Thumherr zu Bamberg vnd Aystet« zu erkennen. Die ältesten Ausgaben sind von Nürnberg, 1472, in welchem Jahre der Verfasser sein
Man sieht, dieser ebenso ehrbare als lustige Archidiaconus hat kein Hauptcapitel aus dem ehelichen Leben und Wandel unberührt gelassen. Seine moralischen Nutzanwendungen verrathen im Allgemeinen strenge Grundsätze, ohne pedantisch und im Einzelnen lästig zu werden. Man hat ihn nicht mit Unrecht den deutschen Montaigne genannt. Hin und wieder laufen seine moralischen Tractate, wenn den Verfasser seine fröhliche Phantasie von dem didaktischen Ton abführt, in kleine Novellen aus, die, in ihrer zierlichen und naiven Behandlung, an Boccaccio erinnern. Zuweilen hat er auch aus demselben entlehnt, wie die Erzählung, mit der er beweisen will, »das man frowen und junkfrowen tzu rechter czeit menner geben soll.« Die vortrefflich gehaltene Erzählung: »wie sich ein frow halten sol in abwesen irs mans« zeigt ihn selbst als Meister im naiven Novellenstil.
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Manches scheint
Ueber das Freien sagt Albrecht von Eybe folgendes Beherzigenswerthe: »Vgolinus parmensis schreibt, ich hab wohl gesehen das oft ein schicz (Schütz) ablaßt hundert pfeil von dem bogen ee er das zil mag getreffen, so kompt oft ein glik das im ersten schuß der schicz trifft das blatt, also geschicht
Einige der am meisten charakterisirenden Abschnitte, die hier stehen könnten, müssen wir in Betracht des veränderten modernen Geschmacks unterlassen, da unsere Sitten heut nicht mehr rein genug sind, um alles Natürliche, das unsere Altvordern frisch und fröhlich bei seinem Namen nannten, ohne Anstoß hinzunehmen. Hier empfinden wir erst recht die Corruption, die hinter den prüden Formen sich birgt, wenn wir uns schämen müssen, die unumwundenen Aeußerungen alter, körniger, ächt deutscher Sitte unsern Zuständen wieder nahe zu bringen. Nur das harmlose Lob, das der ehrliche Albrecht von Eye der Ehe spendet, mag hier noch eine Stelle finden: »Die Eee ist ein Mutter vnd Meisterin der Kewscheyt, wann durch die Eee werdent vermitten vnlauter frembd Begird vnd annder
Der Geschmack des Jahrhunderts war ein gemischter und erschien wie aus den verschiedenartigsten Gewürzen und Ingredienzien zusammengesetzt. Dies verräth sich in der Darstellungsmanier durch das nahe Aneinanderliegen von Ernst und Scherz, Johann Geyler von Kaysersberg, diesem merkwürdigen Prediger, der seine Texte, statt aus der Bibel, aus dem Narrenschiff seines Freundes Sebastian Brand wählte. Die hundertundzehn Predigten, die er im Jahre 1498 zu Straßburg über
Diesen weiberfeindlichen Text hat Geyler von Kaysersberg folgendermaßen in seinen Predigten commentirt: »Die dritte Schell der selzam Narren ist das Haar zieren, geel, krauslicht und lang machen, auch fremdes Haar der Abgestorbenen unter ihres vermischen und dasselbig zum Schauspiel aufmutzen. Es ziehn die Weiber jezund daher wie die Mannen und hencken das Haar dahinden ab bis auf die Hüft, mit aufgesetzten Paretlin und Hütlin gleichwie die Mannen. Die Weiber ziehn in ihren Schleyern daher und haben sie aufgesprinzt neben mit zwo Ekken oder Spizen, gleich einem Ochßenkopf mit den Hörnern.«
Solche Sprache der Kanzel, denn auf dieser wurden Geyler's Predigten über das Narrenschiff wirklich gehalten, tönte originell genug, und war dem Volksgeist durchaus angemessen. Ueber weltliche Gegenstände, ohne eigentlichen Bibeltext, zu predigen, war überhaupt nichts Ungewöhnliches in damaliger
Das funfzehnte Jahrhundert war das Jahrhundert der Vorbereitungen. Eine Menge weltlicher Anregungen stürmte unwiderstehlich auf das deutsche Gemüth ein, um eine neue Zeit aus neuen Elementen in ihm hervorzurufen. Diese ungeahneten
In dem landschaftlichen Wettstreit der deutschen Mundarten hatte das Oberdeutsche immer an Schönheit, Cultur und Nationalbedeutung den Sieg davongetragen. Das Niederdeutsche war gewissermaßen das Aschenbrödel der andern deutschen Mundarten geworden, vielfältig geschmäht und verachtet, und doch Herrliches und Anerkennenswerthes in sich tragend.
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Wenigstens wurde das Niederdeutsche mit seinen schönen leichtflüssigen Elementen ein ebenso nothwendiger Einschlag in die neuhochdeutsche Gesammtsprache, die sich im sechszehnten Sächsischen Canzeley, welcher nachfolgen alle Fürsten und Könige in Deutschland. Alle Reichsstädte, Fürstenhöfe, schreiben nach der Sächsischen Canzeley (oder vielmehr, die sächsische Canzeley schrieb nicht anders, wie alle Reichsstädte und Fürstenhöfe); darum ist's auch die gemeinste deutsche Sprache.«
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Jacob Grimm (Grammatik, I. Ausg. I. XI.) sagt sehr treffend: »Man darf das Neuhochdeutsche als den protestantischen Dialekt bezeichnen, dessen freiheitathmende Natur längst schon, ihnen unbewußt, Dichter und Schriftsteller des katholischen Glaubens überwältigte. Unsere Sprache ist, nach dem unaufhaltbaren Laufe aller Dinge, in Lautverhältnissen und Formen gesunken; – was aber ihren Geist und Leib genährt, verjüngt, was endlich Blüthen neuer Poesie getrieben hat, verdanken wir keinem mehr als Luthern.«
Wie sehr um diese Zeit die deutsche Sprache mit dem Protestantismus identificirt wurde, ersieht
Um zunächst den Unterschied der Bibelsprache Luthers von seinen katholischen Vorgängern zu veranschaulichen, folge hier eine Stelle aus dem Hiob, einmal nach Otmar's Ausgabe vom Jahre 1507 und dann nach Luther's Uebersetzung von 1541, in welchen beiden die Rede Gottes folgendermaßen gegeben ist:
Otmar. 1507.
»Aber der herre antwurt job von dem windtspreuel und sprach. Wer ist der, der da einweltzett die urtayl mit ungelerten worten. Begürte deine lenden als ain mann, ich frage dich und du antwurte mir. Wo warest du, do ich setzet die grundtfeste der erde. Zayge
Luther. 1541.
»Und der Herr antwortet Hiob aus einem wetter und sprach. Wer ist der, der so felet in der weisheit und redet so mit unverstand? Gürte deine Lenden wie ein Mann; Ich will dich fragen, lere mich. Wo warestu da ich die Erden gründet? Sage mir's,
Luther's Bibelübersetzung ist ebenso sehr eine Hervorbringung des produzirenden Genies, als der mühsamsten und durchdachtesten Sprachforschung. Wie Luther allmählig seinem Ziele entgegenschritt, zeigt die Stufenfolge seiner Uebersetzungen, die vom Jahre 1517 an in einzelnen Stücken der Bibel sich aneinanderreihten und zuerst 1534 zu dem vollständigen Bibelwerk zusammengestellt wurden. Darauf erfolgte die umfassende Revision seiner Arbeit von 1541, und nach ihr eine Reihe von immer vollendeteren Ausgaben bis zu der von 1545, die, von Luther noch selbst besorgt, als die letzte Feststellung und Organisation seiner Sprache anzusehen ist. Man tritt in Luther's Werkstatt, wenn man die Reihenfolge dieser Uebersetzungsversuche durchmustert, und sieht ihm mit Erstaunen zu, wie er sich selbst nie genugthun und befriedigen kann, wie er alle Quellen der Sprache, die aus älterer Zeit wie
Das Grammatische in der Sprache Luther's stellte sich erst allmählig fest. In seinen frühern Schriften stößt man auf viele Härten, die besonders er zu bilden, die Manne, die Weibe; rauhe und ungrammatische Formen, wie er tot für er tödtete, wunsch für wünschte, und ähnliches Schwankende und Mißlautende zu gebrauchen. Auch wies in seinen ersten biblischen Uebersetzungen die neuhochdeutsche Mundart noch keineswegs eine Einheit oder Sicherheit auf, vielmehr machten sich noch viele oberdeutsche Laute und Formen unbedenklich geltend, wie z.B. in folgender Uebersetzung der Schilderung Leviathans, aus dem Jahre 1523: »Wer kann die kinnbacken seines antlitz auffthun? Schröcklich stond seine zeen umbher, Sein leichnam ist wie schilt, vest und eng ineinander, Ains rürt an das ander, das nit ain lüfftlin darzwischen geet, es hanget ainer am andern und halten sich ain glantzends licht. Die schleuderstain seind im wie stupfel, den hamer achtet er wie stupffeln, er spottet der zitterden lantzen« etc. An die Stelle solcher Formen traten allmählig sächsische bei ihm ein, oft nach Wohllaut, Gefühl und Stimmung des auszudrückenden Gedankens fein nüancirt. Obwohl die vollen, austönenden Laute des Oberdeutschen, wie glanzen, offentlich, kurzlich u.a., in mancher Hinsicht erhaltenswerth scheinen, so haben doch die Umlaute, mit denen sie Luther bald in die sächsischen Formen glänzen, öffentlich, kürzlich, verwandelte, den leichteren Fluß der Rede, die geschmeidige Bewegung für die Prosa, für sich. So wurden auch die oberdeutschen Flexionen: ich nimm, ich lies, ich gieb, ich iss, ich sih u.s.f. von Luther ausgeschlossen, und gingen durch ihn in der sächsischen Abwandlung ich nehme, ich lese, ich gebe, ich esse, ich sehe, in die allgemeine Schriftsprache über,
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da sie in dieser Form ebenfalls für
Die hervorstechendste Eigenthümlichkeit, die den eigentlichen Geist der luther'schen Sprachschöpfung ausmacht, ist aber die christliche Anschauung und Gesinnung, die seine Sprache so sehr als Lebensathem durchdringt, daß sie sogar wortbildnerisch und grammatisch den größten Einfluß ausübt. Durch gewisse Wörter und Zusammensetzungen glaubte Luther die deutsche Sprache gewissermaßen christianisiren zu müssen, und wir verdanken diesem Bestreben manche schöne Wortfügungen, die uns geblieben sind. Namentlich sind in unserer Sprache die häufigen Zusammensetzungen mit dem selig durch Luther theils in Gebrauch gekommen, theils geschaffen worden. Den Engelsgruß bei Lucas (I. 28.) übersetzt Luther: gegrüßet seystu, holdselige! ein sehr glücklich von ihm gebildetes Wort, auf dessen Zusammensetzung ihn ohne Zweifel nur ein christliches Gemüthsbedürfniß brachte, obwohl gerade dieses Wort von seinen Gegnern sehr heftig angefochten wurde. Das κεχαριτωμένη der Urschrift war in der Vulgata mit plena gratiarum, und von Luther's Vorgängern voller Gnaden übersetzt worden. Die deutsche Sprache hatte überhaupt für Grazie bis dahin kein anderes recht gangbares Wort gehabt als Gnade, und Geyler von Kaysersberg spricht einmal in seinen Predigten über das Narrenschiff von den drei Gnaden, statt den drei Grazien. Luther, der sich über diese Uebersetzung des Engelsgrußes bei Lucas in seinem Sendschreiben vom Dolmetschen §. 14. ausführlicher äußert, machte sich mit der schönsten und bezeichnendsten Wiedergebung dieser Stelle besonders viel zu schaffen. Er nahm zunächst das Wort hold, das sich schon in den ältesten Sprachdenkmälern, bei Willeram und Otfrid, findet und unhold (was schon im silbernen Codex den Teufel, unhulto, benannt), das Gegentheil davon, erst ungetreu, und dann feindlich, übelthätig, ausdrückt. Hold schien Luthern jedoch noch nicht genügend, um Das, was der Engel mit seinem Gruße an dem Wesen der Maria bezeichnen will, wiederzugeben. Es dünkt ihm noch ein zu äußerliches Beiwort, nur irdische Liebe und irdische Schönheit andeutend, und er fügte selig daran, welches Wort seiner Abstammung nach (sel, sal, salus) auf das Heil hinzeigt, und in diesem Falle besonders die Heilsbotschaft, welche der Engel der Mutter Gottes bringt, insichschließt. So erhielt unsere Sprache in diesem holdselig eines ihrer schönsten und lieblichsten Wörter, das von der heiligen Jungfrau Maria aus bald auch in den Sprachschatz der irdischen Liebe und Zärtlichkeit überging. Luther selbst aber hatte sich mit diesem Ausdruck eigentlich noch nicht genuggethan; er meinte, der Engel wolle an dieser Stelle vorzüglich sagen: Gott
du liebe Maria, und wenn er deutsch gesprochen hätte, würde er sie mit diesen Worten begrüßt haben, denn, fügt Luther hinzu, »wer Deutsch kann, der weiß wohl, welch ein herzlich fein Wort das ist, die liebe Maria, der liebe Gott, der liebe Kaiser, der liebe Fürst, der liebe Mann, das liebe Kind. Und ich weiß nicht, ob man das Wort liebe auch so herzlich und genugsam in lateinischer oder andern Sprachen reden möge, daß es also dringe und klinge in das Herz, durch alle Sinne, wie es thut in unserer Sprache.«
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Die christliche Anschauung bildete auch das Wort gottselig, worin Luther das auch auf die heidnischen Götter bezügliche göttlich umsetzte. Andere Wörter, wie unglückselig, glückselig, armselig und ähnliche entstanden ebenfalls in diesem christlichen Sinn, dem keine andere Sprache wie die deutsche mit solcher ideellen Bezeichnungsfähigkeit nachkommen kann. Mit der Armuth benedeyt seid ihr u.s.w., wofür später glückselig und selig mit jener bezeichnenderen Färbung der Bibelsprache an die Stelle kam.
Das Wort hehr ist ebenfalls der biblischen Diction eigenthümlich und durch dieselbe in der deutschen Poesie verbreitet worden. Es ist ein altes deutsches Wort, das besonders der sächsischen Mundart angehörig scheint und von Luther zuerst in den Psalmenübersetzungen, wo die Vulgata terribile hat, gebraucht wurde, wie er selbst sagt: »Das Wort terribile heiße ich auf Deutsch hehr, das man zu Latein metuendum, reverendum nennt, als man ein Bild, Kirche, Fest, Heiligthum oder dergleichen schön und hehr hält.« Offenbar wollte er damit ein aus Schauerlichem und Heiligem gemischtes Heiland, ein Participium von dem fränkischen Verbum heilan, heilen (heilant), ist durch Luther in der Sprache der christlichen Anschauung eingebürgert worden, womit er namentlich das griechische σωτηρ des neuen Testaments übersetzte, einen umfassenden und der evangelischen Bedeutung durchaus gemäßen Sinn damit ausdrückend. Diese und ähnliche Wörter und Wendungen zeigen, wie Luther bei seiner Arbeit ohne Zweifel die alten Sprachschätze vor Augen hatte und eifrig durchforschte. Schon Otfrid sagt von Jesus: Nu vuizun in ala vuari thaz er ist heilari, nun wissen wir in aller Wahrheit, daß er ein
Andere Eigenthümlichkeiten der luther'schen Sprache sind zum Nachtheil der heutigen Diction wiederblößen und entblößen, sich fernen und entfernen, sich fleißigen und befleißigen, kehren und verkehren, kleinern und verkleinern, leichtern und erleichtern, niedrigen und erniedrigen, wintern und überwintern, Fahr und Gefahr, schäftig und geschäftig, Schmack und Geschmack, schwätzig und geschwätzig, Trügerei und Betrügerei, wendig und abwendig u.v.a.
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Mehrere solcher Wörter, die besonders durch Luther in Gebrauch gekommen, sind auch heut noch unserer Diction mehr oder weniger zuständig, wie
fälschen für
Einige Wörter Luther's, die ganz in seinem Sprachgeist empfangen waren, sind völlig vom Schauplatz verschwunden, auch allmählig in den neuern Ausgaben der Bibel fortgelassen worden, z.B. webern, s.v.a. sich regen, Psalmen. 65. 9. du machest fröhlich was da webert. Der Ausdruck gehört übrigens der oberdeutschen Mundart an, denn noch heutzutage kann man in Süddeutschland hören: es webert, für: es spukt. Anderes Alterthümliche seiner Sprache tilgte Luther noch selbst in der Ausgabe letzter Hand, z.B. ichtes für etwas nicht, nichts gebildet worden). Manches, was sonst auffällig und eigenthümlich an seiner Bibelsprache erscheint, ist oft nur durch eine wörtliche Uebersetzung der Vulgata entstanden, z.B. der biblische Ausdruck erkennen vom fleischlichen Umgange, der eine unmittelbare Uebertragung des lateinischen cognoscere ist, was schon Adelung bemerkt hat. Dagegen kannte Luther, ungeachtet seiner gewandten Aneignung lateinischer Formen, seltsamer Weise das Wort Körper noch nicht, obwohl schon im Lobgesang des heiligen Anno: »der beide ist corpus unte geist« der Gegensatz von Körper und Geist sich ausgedrückt findet. In Luther's Bibel erscheint immer nur das Verhältniß von Leib und Seele mit einer gewissen verächtlichen Färbung des ersteren, der auch öfters, gerade in diesem Gegensatz, nur als Leichnam bezeichnet wird. Die räumliche Bedeutung des Körpers wurde erst durch Descartes als metaphysischer Begriff aufgenommen und aus der Mathematik in den modernen Sprachgebrauch übertragen. Dagegen reinigte Luther das Wort Geist von den sinnlichen Bestandtheilen Hauch, Odem vorkommt, ja selbst vom Winde nicht unterschieden wird, eine Vermengung, die sich noch bei Geyler von Kaysersberg findet, der Joh. III. 8. »der Geist der geistet wo er wil, und du hörest seine Stimme« übersetzt, wo Luther hat: »der Wind blaset wo er will, und du hörest sein Sausen wohl.«
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In der Bezeichnung der menschlichen Verhältnisse, der Stände, der Geschlechter, verräth Luthers Sprache manche glückliche Naivetät der Anschauung, manche zurückzuwünschende Anmuth und Harmlosigkeit des Ausdrucks. In den Anreden zeigt sich noch fast gar keine Unterscheidung der Stände, nur in Herren und Knechte, oder auch in Pöbel und Junckern, wobei jedoch jener nur das Volk ohne alle Nebenbegriffe bezeichnet, legen sich einfach die Magdthum hat sich leider wieder aus dem heutigen Gebrauch entfernt, und wir haben nur noch das undelicatere Wort Jungfrauschaft an seiner Stelle. Magd und Jungfrau werden von Luther gleichbedeutend und abwechselnd gebraucht, der Begriff des Dienenden ist mit der ersteren noch nicht im niedrigeren Sinne verbunden und streift nur hinundwieder in leiser Schattirung daran. Folgende Physiognomie einer deutschen Magd entwirft Luther selbst einmal: »Es heißt im Deutschen Magd ein solch Weibsbild, das noch jung ist und mit Ehre den Kranz trägt und im Haar geht; ein jung Weibsbild, die nicht nur ihre Jungfrauschaft noch hat, sondern auch Tugend und einen fruchtbaren Leib. Darum heißt solches junge Volk Meide- oder -Maide-Volk, nicht Jungfrauen-Volk.« Aus dieser letztern Andeutung geht wenigstens hervor, daß er in solchen Zusammensetzungen das Wort Jungfrau nicht für üblich und schicklich gehalten, obwohl er demselbenMädchen kam erst später aus dem Niederdeutschen in Aufnahme, und wurde von Luther noch nicht gebraucht, der dafür Mägdlein hat. Dirne kann bei Luther auch eine Verheirathete bezeichnen, solange sie sich in einem gewissen jugendlichen Alter befindet, und drückt noch durchaus keine Geringschätzung mit dieser Benennung aus. Man sieht, die Frauen haben zu Luther's Zeiten eine schöne Mannigfaltigkeit der Bezeichnungen besessen, die ihnen heut fast gänzlich verloren gegangen. Mehrere damals übliche sind jetzt sogar anrüchig und unanständig geworden, und das äußerst zartsinnige und poetisch gebildete Wort Weibsbild, womit Luther das ganze Geschlecht benennt, ließe sich nicht so leicht wieder zu Ehren bringen. Statt des Bildes, unter dem Luther das Frauengeschlecht anschaulich und lieblich zusammenfaßte, hat man jetzt die allgemein gebräuchliche Zusammensetzung mit Zimmer, wodurch die Frauen zu einem bloßen Gemach, zu einem Frauenzimmer entarten, ein Wort, das allmählig durch eine unbegreifliche Ideenassociation für Weibsbild in Aufnahme Dirne wenigstens der deutschen Balladenpoesie nicht ganz fremd geworden, obwohl es doch im Ganzen sein edles Gepräge eingebüßt.
Was Luther's Bibelsprache zu ihrer hohen Bedeutung und dem unabweislichen Einfluß auf das Volk gelangen ließ, ist am allermeisten der poetische Schöpfergeist, das dichtende Gemüth, welches in ihr waltet, und der deutschen Rede mit neuer Zeugungskraft sich bemächtigte. In Luther's Diction zerfielen zuerst die Schranken von Poesie und Prosa oder sie traten als eine in Geist und Formen verschmolzene Einheit auf, von der sich nicht mehr nachweisen läßt, wo die dichterischen und wo die prosaischen Elemente anfangen und aufhören. Nur Reime in seine Darstellung aufnahm, läßt sich dagegen nicht läugnen. Linden«, Daniel antwortet: »O recht, der Engel des Herrn wird dich finden«, dem andern Zeugen aber, der aussagt: »unter einer Eichen«, erwiedert: »O recht, der Engel des Herrn wird Dich zeichen«. Die Absichtlichkeit, hier einen Reimklang hervorzurufen, erhellt wenigstens daraus, daß Luther in seiner Uebersetzung zwei andere Bäume gewählt hat, als im Originaltext an dieser Stelle stehn, bloß um darauf reimen zu können.
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In einigen neueren Ausgaben der 8
In den eigenen Schriften Luther's, besonders in denen, wo ihn die Polemik seines Zeitalters fortriß, mischte sich bei weitem mehr Verletzendes ein, sowohl in der Decenz des Ausdruck's, als auch sonst in sprachlicher Hinsicht. Sie haben nicht das Gediegene, Durchbildete und Abgerundete seiner Bibelsprache, und verrathen oft, im wilden Drang des Augenblicks, die Heftigkeit seines Charakter's auch im Stil, der dann rohen, aus dem Klotz geschlagenen Figuren gleicht. Selbst seinen Predigten fehlt nicht selten aller begeisterte Aufschwung, oder sie entarten in die bigotten Kanzelspielereien, die zu seiner Zeit Mode waren. So heißt es in seiner Predigt über die letzten Posaunen an einer Stelle: »So geht's zu zu Felde in der Heerschlacht. Wenn man die Schlacht anfehet, so bleset man die Posaunen oder Drometen, schlegt die Trommel vnd gehet daher die Taratantara. Man macht ein Feldgeschrey, Her, her, her,
Feiner und angemessener trifft Luther zuweilen jung und alt durcheinander, daß mich wundert, wie Stimme und Odem so lang währen können und möchte gerne wissen, ob auch solches Adels und reisigen Zeuchs auch etliche noch bei euch wären. – Ich habe ihren Kayser noch nicht gesehen, aber sonst schweben und schwänzen der Adel und grossen Hansen immer vor unsern Augen, nicht fast köstlich gekleidet, sondern einfältig in einerley Farbe alle gleich schwarz und alle gleich grauaugig, singen alle gleich einen Gesang, doch mit lieblichem Unterschied der alten und der jungen, grossen und kleinen. Sie achten auch nicht der grossen Pallast und Saal, denn ihr Saal ist gewölbet mit dem schönen weiten Himmel. Ihr Boden ist eitel Feld, getäfelt mit hübschen grünen Zweigen. So sind die Wände so
Dr. Martin Luther's Verdienste um die Ausbildung der hochdeutschen Schriftsprache, im ersten Stück der Abhandlungen des frankfurttischen Gelehrtenvereins. (Frankf. a.M. 1818.)
Die Vereinheitlichung der deutschen Mundarten in Luthers Bibelsprache wurde durch die Reformation, mit der sie sich verknüpfte, zu einer entschiedenen geschichtlichen Thatsache. Ein einzelner Dialekt konnte niemals wieder zur literarischen Oberherrschaft gelangen, und die verschiedenen Entwickelungen, welche nun noch die deutsche Diction erlebte, mußten auf dem Grund und Boden des aus der Reformation hervorgegangenen Gesammtdialekts geschehen. Die neuhochdeutsche Prosa Luther's wurde die eigentlich literarische Sprache, die Mundart der deutschen Literatur. Der bloß schriftliche Charakter unserer Literatur mußte sie eher dazu geneigt machen, sie an ein einheitliches Organ des Ausdrucks hinzugeben, und der nationalen poetischen Sprache, so wurde das Niederdeutsche, wenn auch nicht in derselben Weise die einzige Grundlage, doch die hauptsächlichste Anknüpfung und Bildungsstätte der literarischen Sprache in Deutschland. In diesem Uebergang ist es eine bemerkenswerthe Erscheinung, daß die neuhochdeutsche Verschmelzung des Ober- und Niederdeutschen zuerst eine Prosa hervorbrachte, die zugleich die dichterischen und prosaischen Elemente der Darstellung in einem verbundenen Guß aufzeigte. Die einzelnen
An der Gränzscheide dieser Epoche, die durch Lu ther's Sprachschöpfung bezeichnet wird, ist auch noch das Unternehmen des Johannes Agricola, die Sprüchwörter der Deutschen zu sammeln, für diese Betrachtung denkwürdig. Diese Sammlungen, deren erste im Jahre 1528, die zweite 1529 und die dritte 1548 erschienen, sind als ein aus der Mitte des Volkslebens herausgehobener Sprachschatz der deutschen Nation sehr wichtig. Man hat darin den in unmittelbarster Einheit mit der Sprache schaffenden Volksgeist vor sich. Agricola selbst handhabt in den Auslegungen dieser Sprüchwörter eine treffliche und körnige Prosa, und zeigt sich von Begeisterung für seine Absicht, ein Nationaldenkmal deutscher Sprache und Sitte hinzustellen, erfüllt. Seine Zueignung der ersten Sammlung, die er an den Kurfürsten Johann Friedrich von Sachsen gerichtet hat, enthält für den damaligen Zustand der deutschen Sprache einige interessante Aeußerungen. Es heißt unter Anderm: »Es bewegen mich (zur Bekanntmachung dieser Sprüchwörter)
Agricola's Vorzüge als Prosaist sind um so höher zu schätzen, da er zum Theil in einem Zeitpunkt schrieb, wo Luther noch nicht mit der höchsten Vollendung seiner Sprache vorleuchtete, sondern erst im Ringen danach begriffen war. Die Poesie der luther'schen Schreibart, die begeisterte Beherrschung der Sprache erreichte freilich der didaktische Agricola nicht, aber seine Hinweisung auf den volksthümlichen Kern der deutschen Sprache und seine Anregung des Nationalsinnes für die Ausbildung derselben waren verdienstlich genug. Das Jahrhundert der Reformation war jedoch zu sehr mit vielen gemischten Elementen versetzt, die aufstrebende Cultur war noch zu vorwaltend durch Philologie und gelehrten Schwerestoff bedingt, als
Sebastian Franke, aus Donauwörth in Schwaben, über dessen persönlichem Leben ein Dunkel liegt, bildeten die philosophische Diction aus und bereicherten sie mit Manchem, was ihr noch heut für die subtile Gedankenbezeichnung geblieben. Durch seine metaphysische Behandlung des Christenthums, mit dem er neuplatonische Ideen, besonders die Lehre von der Weltseele, zu verschmelzen suchte, verhielt er sich eigentlich in einem feindlichen Gegensatz zu den Reformatoren. Dies Bestreben brachte auch in seine Sprache eigenthümliche Combinationen, obwohl der Geist Tauler's, der unverkennbar auf ihn wirkte, auch darin seinen Einfluß auf ihn geübt hat. Franke war ein gewandter und witziger Kopf, wie er in seinem sehr prägnant geschriebenen Commentar deutscher Sprüchwörter, die auch er gesammelt, bewiesen, und sein feinsinniger Takt bemeisterte sich der deutschen Sprache besonders in außdruck, gemainnützig, selbsständig, spizfindigkeit, aigenthumb, zeitlos, begirdlos, und viele ähnliche, wurden durch ihn zuerst in Umlauf gesetzt und seitdem durch keine treffenderen Bezeichnungen verdrängt. Auch durch geniale Wendungen des Stils zeichnet sich Sebastian Franke hin und wieder aus. Seine theologischen Abhandlungen, seine Uebersetzungen des Lobes der Narrheit von Erasmus von Rotterdam, der Eitelkeit menschlicher Künste von Corn. Agrippa, sind das Wichtigste, was für uns hieher gehört, doch hat auch seine Weltchronik oder Geschichtbibel, die von Anbeginn der Dinge bis zum Jahre 1591 fortgeführt ist und auch in diesem Jahre zuerst gedruckt erschien, manche Verdienste der Darstellung, und ist schon als die erste in deutscher Sprache geschriebene Universalgeschichte dieser Art merkwürdig. Lessing beschäftigte sich viel mit Frankens Schriften, auch ihres Inhalts wegen, und es wäre zu wünschen, daß neuerdings einige ausführlichere Auszüge in irgend einer Form von ihm gegeben würden. Hier können anmut
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, und witz lerne verleugnen, außziehen, förchten, tödten, verkochen? Ja wol verkochen. Wir hayen und heben diß allein auff, wie fein
Von der Verderbtheit der menschlichen Natur sagt Franke: »Nu aus diesem magstu leichtlich schliessen, was des natürlichen menschen witz, frumkait und kunst sei – freilich eittel todt, thorhait, sündt und gotsfeindschaft, weil alles flaisch im gegentail Gotes ligt und mit dem Teuffel laicht, ganz seiner art, wesens, willens und geburt, ja sein blut und flaisch, das sie nicht dann wie sein vatter Gotes feindt ist, nichts götlichs verstehen kan, alles sein wil on got, ja sein selbs got sein und alles sich annimpt, das gotes ist, wie Adam und Lucifer ir Vater. Diß sind eittel frücht des verbotnen baums. Der Christ aber ist aus Gott geboren, eittel gaist und leben, ganz götlicher art und nicht dann ein geschürr und außdruck gottes, ja nichts dann ein sichtbarer leiblicher gott, der mit gott veraint, aller ding seiner art ist, leibgirig, gemainnützig on alles annemen, wie got frei, stark, on aigenthumb« u.s.w.
An einem andern Orte entwickelt Franke den metaphysischen Begriff der Natur: »Die Natur ist
Diese Sprache des philosophischen Gedankens Goswin Wasser
leiter's merkwürdig, der sich bemühte, in seiner Logica oder Vernunftkunst, die im Jahr 1590 in Erfurt, erschien, die Bezeichnung logischer und abstracter Begriffe durchgängig mit deutschen Wörtern zu geben. Schon früher hatte Albrecht Dürer in seinen mathematisch kunsttheoretischen Schriften strenge wissenschaftliche Vorstellungen in einem gediegenen, reinen und klaren Deutsch behandelt, und eine eigenthümliche Diction deutscher Künstlersprache geschaffen, für die auch die erste Uebersetzung des Vitruv von Styff nicht unerheblich mitwirkte.
Eine sehr wichtige und originelle Sprachquelle des sechszehnten Jahrhunderts ist aber noch zu erwähnen übrig. Dies ist jener echt deutsche Schimpf Johann
Fischart, der Mentzer genannt, der unter verschiedenen Namen die zahlreichen Geschöpfe seines zügellosen Genius in die Welt schickte.
Fischart war ohne Zweifel ein großer Sprachkünstler, der bedeutendste und productivste neben und nach Luther, der die deutsche Prosa, welche dieser auf den reformirten Dialekten auferbaut hatte, in das tausendfarbig erschimmernde Gewand des Nationalhumors kleidete. Sein Reichthum an Wörtern und Wendungen, an geistreichen Zusammensetzungen und neugebildeten Bezeichnungen, an Ausdrücken, die er sich nach der Phantasie geschaffen und aus dem Urquell einer originellen Anschauung heraufgeschöpft hat, wäre noch bei weitem höher Si laxes, erepit: Si premas, erumpit. Zu Luck entkrichts: Eim Truck entziechts.« Unter der Holzschnitt-Vignette: »Im Fischen, gilt's Mischen. Gedruckt zu Grenflug im Gänsereich. 1617.«
Eine Stelle aus diesem Buche hier auszuwählen, ist eine eigenthümliche Verlegenheit, nicht für mich, sondern für die heutigen Leser. Ganz unverändert kann kaum eine Seite daraus an diesem
Dies war ein ächt nationaler Humor, dem Fischarts Genie Sprache gegeben. An solcher Satire erlustigten sich unsere Altvordern, so tändelten, lachten, scherzten und wortspielten sie. In der Fülle und sinnreichen Gefügigkeit der Wortspiele, wie sie bei Fischart sich finden, möchte keine andre Sprache mit der deutschen einen Wettstreit unternehmen können, wie abenteuerlich und kindisch auch oft Fischarts Laune mit seinen tausendfach durcheinandergehetzten Wörtern davonläuft. Nur gewisse humoristische Figuren Shakespear's haben einen ähnlichen Fluß unerschöpflicher Stichwörter im Munde, zu deren deutscher Wiedergebung man schon frühe in Fischarts Diction eine Grundlage gehabt hätte. Wie absichtlich aber Fischart für den Ruhm und die Fortbildung der deutschen Sprache
Die Sprache des Reformations-Zeitalters stellt die Entwickelung der deutschen Prosa in Luther, Sebastian Franke und Fischart nach drei verschiedenen wichtigen Richtungen dar. Durch die zählte nur die Sylben in seinen Alexandrinern, er gab dem Verse den geistigen Accent der Prosa, und bekümmerte sich nicht um die Anforderungen der Quantität. –
Neigung, Alles, was Einem anmuthet, wozu man Muth und Lust verspürt, in welchem Sinne besonders das Adjectivum anmuthig früher allgemein gebraucht wurde. Vgl. Petersen, die Veränderungen und Epochen der deutschen Hauptsprache, S. 159., welcher bei dieser Gelegenheit die Abstammung des Wortes Anmuth von Muth gegen die widersinnige Behauptung Adelung's, Anmuth sei ungeschickt nach dem Lateinischen amoenitas gebildet, vertheidigt hat.
Die Cultur hat in Deutschland immer die merkwürdigsten Schwankungen erlebt. Wenn sie sich bis zu einem gewissen Punkt entfaltet, von wo sie beglückend und vollkommen machend das ganze Volksleben durchdringen könnte, hält sie entweder inne, wie von jener augenblicklich hervorbrechenden Trägheit des Nationaltemperaments gebannt, oder sie bricht auf längere Zeit ab, und gerade in einem Moment, der die Ernte vorangegangener heißer Bestrebungen zu versprechen schien. Andere fremde Einflüsse treten verkümmernd und vernichtend zwischen das Ideal und die Erfüllung. Dieses periodische Auf- und Niedersteigen zwischen Erhebung und Verfall bezeichnet keines Volkes Geschichte so sehr, als die deutsche. Nach großen Grundsteinlegungen steht sie zaudernd halbe Jahrhunderte still, und scheint ihre Entwürfe wieder
Das siebzehnte Jahrhundert trat den im vorigen angesetzten Kern der deutschen Bildung wieder zurück, und verschüttete namentlich in Sprache und Darstellung die Spuren der großen Geister, die darin epochemachend vorangingen. Die unglücklichen Verhältnisse und Ereignisse dieses Zeitalters brachten eine barocke Mischung von Lebenselementen hervor, die oft der Barbarei gleichkam und als solche verheerend wirkte. Das wüste Völkergetümmel des dreißigjährigen Krieges überdeckte den deutschen Boden mit einer babylonischen Verwirrung fremder Sprachen und Sitten, die den Nationalsinn
Ein solches Gemälde der Sprachverwirrung seiner Zeit entwarf Leibnitz, das größte Genie dieses Jahrhunderts. Er selbst stand freilich mitten in diesen Einflüssen, ohne sie zu bezwingen, oder sein Talent für die Behandlung der deutschen Sprache, die er in seinen Unvorgreifflichen Gedanken mit so bedeutender Kraft und Energie handhabte, in seinen eigensten Geisteswerken auszuüben. Denn seine Klagen, daß die deutsche Diction der metaphysischen Bezeichnung entbehre, muß man für ungegründet halten, sowohl der großen Beispiele wegen, die uns in den früheren Abschnitten vorgekommen, de vanitate mundi, überlassen konnte. Fragt man, in welchen Winkel des Nationallebens zu dieser Zeit das Deutsche zurückgedrängt war, so hört man es in dem ehrsamen Munde des Bürger- und Handwerkerstandes treuherzig weiterreden. In dieser praktischen Region blieb der Kern der deutschen Sprache einstweilen Leibnitzens in den Verhältnissen dieses Jahrhunderts. Als Weltmann war er der Sprache der höheren Stände mächtig, als Gelehrter beherrschte er die klassischen
Die Sprachmengerei führte der deutschen Sprache zwar manche neue und prägnante Wortgebilde zu, deren sie noch heut sich nicht entschlagen kann, aber das Verderben, welches namentlich die Französirung unseres Idioms anrichtete, ist größer anzuschlagen, als die Bereicherung, die ihm dabei widerfuhr. Die deutschen Endungen, statt kräftiger und gewichtiger um die Wurzel herum auszuschlagen, schwemmten sich unter diesen Einflüssen immer mehr ab, und verhallten in die stumme Auslautung der französischen Sylben. Das deutsche Jacob Böhme's, des wunderlichen Philosophus teutonicus, der noch zum Theil in das sechzehnte Jahrhundert fällt, aber auch die Kennzeichen des siebzehnten, in das er hineinlebte, an sich trägt. Daß Jacob Böhme ein Schuster war, erscheint ebenso einflußreich für seine Philosophie und deren Sprache, als für Leibnitz, daß er ein Weltmann war. Als Schuster schrieb Jacob Böhme Deutsch, die Sprache der Demokratie, aber er konnte sich zugleich nicht enthalten, in seinen Gedankenoffenbarungen nach der Sprache der Gelehrten und Weltleute da draußen zu hören. Was ihm von ihren fremden Ausdrücken in die Ohren tönte, oder aus Büchern an ihm haften blieb, gestaltete sich in seinem nach Form ringenden Geiste zu einer eigenen Bedeutsamkeit. Fremdländische, besonders lateinische Wörter, die er nicht verstand oder sich nicht zu zerlegen wußte, wurden
Die erste durchgreifende Rückbewegung, die deutsche Sprache wieder zum Organ der deutschen Wissenschaft zu erheben, machte Christian Thomasius, der große Bekämpfer des mittelalterlichen Aberglaubens. Es war schon etwas gewonnen, daß durch ihn die Sprache des Katheders wieder national zu werden anfing und die Bildung der Jugend dadurch wieder an ein heimathliches Band geknüpft wurde. Freilich war die deutsche Schreibart des Thomasius, deren er sich in seinen Schriften häufig bediente, der Uebel noch nicht ledig, welche einmal die Sprache dieses Jahrhunderts schwer belasteten. Er sprach und schrieb die buntlappige Mischprosa, welche das deutsche Gewand mit allerlei-französischen und lateinischen Fetzen verbrämte. Aber die Gelehrsamkeit gewann doch wieder ein mehr volksthümliches Gepräge durch seine Ueberlieferung. Größere Einwirkung auf die Sprache selbst hatte die wolsische Philosophie, welche durch die klare und populaire Bündigkeit ihrer Begriffsunterschiede Verstande zu bringen, war jedoch an dieser Philosophie so lange löblich und dienlich, als sie noch nicht in Gottsched einen Ritter von der traurigen Gestalt ausgesandt hatte, der mit Feuer und Schwert, oder vielmehr durch Wasser
Sieht man sich nach der productiven Literatur dieses Zeitraums um, so ist sie in einigen einzelnen Erscheinungen bedeutender, als man nach der ganzen verworrenen Physiognomie des Jahrhunderts erwarten sollte, obwohl das Innere der Nation nicht davon durchdrungen und erwärmt wurde. Man kann sich wundern, woher die erste schlesische Dichterschule den Muth und Geist empfangen, mitten im Getöse des damaligen Deutschlands so hell und lieblich zu singen! Martin Opitz ist zwar mit Unrecht der Vater der neueren Dichtkunst genannt worden, aber er war ein feiner Geist, der die deutsche Literatur in die Schule nahm und ihr eine neue Erziehung widerfahren ließ. Die Correctheit, zu der er die deutsche Darstellung zügelte, ist eine anmuthige Holländerei, eine Reinlichkeit und Sauberkeit in Worten und Gedanken, der sich sein Naturell offenbar durch seinen Aufenthalt in den Niederlanden zuerst anbequemte. Zweierlei Strafamt, Sturmwind, Lehngeld, Hauszucht, Kirchhof, Vogelfang, Nothwehr, Dichtart, Spielart, Bilderwerk, Spottrede (Ironie), Denkzeit, Denkzettel, Wortmeister
(Criticus),
Die Sprachgesellschaften, welche in diesem Zeitraum zum Theil nach Vorbild der italienischen Akademieen entstanden, hatten fast gar keine nennenswerthen Erfolge für guten Geschmack und Darstellung, und verwirrten und verdarben eher daran, als daß sie reformirten. Sie bewiesen, wie wenig Sinn der Deutsche für gesellschaftliches Zusammenwirken hat oder daß immer etwas Anderes 2
Einzelne gute Köpfe, wie der gelehrte Harsdörfer, welcher den Orden der Pegnitzschäfer in Nürnberg stiftete, hätten vielleicht
Die Anregung, welche die literarischen Ordensgesellschaften im Allgemeinen gaben, sich mit der deutschen Sprache und ihren Fähigkeiten und Verbesserungen zu beschäftigen, ist indessen nicht allzu gering anzuschlagen. Das grammatische Bewußtsein über die Sprache erwachte nach mehreren Seiten, Sprachlehren und Wörterbücher wurden ausgearbeitet, und legten, zugleich mit den bedeutenden etymologischen Forschungen und Sammlungen von Leibnitz, die erste Grundlage zu einer neuen Wissenschaft in Deutschland. Als verdienstlich und Schottel und Kaspar Stieler zu nennen. Schottel hob in seiner ausführlichen Arbeit von der deutschen Hauptsprache vornehmlich die Bedeutsamkeit der deutschen Doppelwörter heraus, und entdeckte die poetische Schönheit und philosophische Bezeichnungsfähigkeit, welche in denselben verborgen liegt. Sein Nachfolger Stieler, der unter dem Namen Spaten schrieb, gab im Jahre 1691 in seinem Werke: »der deutschen Sprache Stammbaum und Fortwachs oder
deutscher Sprachschatz« die Resultate tiefsinniger Untersuchungen auf lexicalischem und grammatischem Felde zugleich, und machte darin zuerst auf die Einsylbigkeit der deutschen Stammwörter aufmerksam. Ueber Wortfügung, Zusammensetzung und Accent der Sprache stellt er treffliche Beobachtungen an. Was er in seiner Vorrede gegen die Ausländerei und Sprachmischung sagt, liefert noch interessante Farben zu unserm Sprachgemälde dieses Jahrhunderts: »Man sollte erst den deutschen Busch wohl ausklopfen und die Brunnquellen prüfen, ehe man verspielt giebt und employeren, engagiren, incaminiren, charge, parole u.s.w. mitunter partirt werden, es gerathe oder verderbe. Ja es hat das Ansehn, ob wolle sogar noch das Uebele ärger werden, nachdem man bei fürstlichen Höfen französische Trachten, französische Gebehrden, französische Diener sieht, und lieber französisch als deutsch reden hört. Wo es nur nicht ein Vorspuck des französischen Joches sein möchte!« – Poesie und Prosa am getrenntesten gegenüber. Die Poesie hatte in der Metrik feste Schranken angenommen, innerhalb deren sie sich tummelte, und was nicht diese turnierfähige Rüstung trug, durfte nicht darauf rechnen, für Dichtkunst gehalten zu werden. Die Prosa ihrerseits, die in die Sprachverwirrung des Jahrhunderts tief vergraben lag, hatte keinen Anlaß in ihren Stoffen, sich zu einem Wetteifer mit der Poesie zu erheben, und ihre Durchdringung mit dichterischen Elementen, die sie schon durch Luther erfahren, war ihr an das steife und hartgelenke Leben dieses Jahrhunderts verlorengegangen. Nur auf der Grundlage einer geebneten gesellschaftlichen Bildung entsteht ein höheres Bedürfniß der Prosa. Die des siebzehnten Jahrhunderts war von geschmacklosen und schwerfälligen Lebensformen abhängig, und der harte Unterschied der Stände prägte sich ab in dem ceremonievollen Canzleistil, welcher den Grundton der herrschenden Prosa darstellte. Die weitschweifigen Kratzfüße der Unterwürfigkeit scharrten in den unendlich langgedehnten Perioden aufundnieder,
zweite schlesische Dichterschule ihren höchsten Gipfel und drang jetzt auch in die prosaische Darstellung über. Hoffmannswaldau und Lohenstein wurden die ersten Urheber der piquanten und hypergenialen Schreibart in Deutschland, aber sie hatten mehr wahres Talent und Verdienste, als gewöhnlich in der Literaturgeschichte, namentlich von Bouterwek, anerkannt wird. Die üppig wuchernde Phantasie dieser Schule, die Alles, was sie behandelte, in ihren blitzenden Bilderstrom untertauchte, konnte auch die Trennung von Poesie und Prosa, in welcher die, wahre Philisterhaftigkeit des Jahrhunderts sich charakterisirte, nicht fortbestehen lassen. In Lohenstein's Prosa, die seinen Gedichten bei weitem vorzuziehen, zeigte sich zum ersten Mal wieder eine Vereinigung von rednerischen und dichterischen Mitteln auf eine effectvolle Weise. Sein großer Roman Arminius und Thusnelda, der zuerst im Jahre 1689 erschien, hat ausgezeichnete Seiten der Darstellung, die sich an mehreren Stellen zu einer großartigen Energie erhebt, oft gedankenvolle und kunstreiche 3
Dieser deutsche Gongorismus überbot sich noch in den Nachahmern, unter denen Heinrich Anselm
von Ziegler und Kliphausen obenan stand. Seine
Die Romanenliteratur der damaligen Zeit ruhte in Erfindung und Behandlung vornehmlich auf dem französischen Geschmack von Scudéry und Calprenéde. Der Geschichte der Romane muß es vorbehalten bleiben, die einzelnen hiehergehörigen Erscheinungen näher zu schildern. Der Wirkung des Romans auf den geselligen Ton und Lebensverkehr stand hier die allzu fremdartige Verkünstelung und Unnatur der Sprache entgegen, und es ist interessant zu hören, was ein scharfkritisirender Zeitgenosse, Gotthard Heidegger, in der Vorrede zu seiner Mythoscopia romantica, worin er 4
, über die Schreibart dieser Productionen bemerkt: »Wenn aber die vielfeltige Gottlosigkeit, so sich in den wollüstigen Romanen befindt, unsre heutige Esprits Forts nicht hindert, so nimmt mich nur Wunder, wie sie es machen, daß sie die schulerische, weibische Alamoderey der Worten und Styli, so durchgehends in den Romanen zischet und rauschet, übertragen und verdawen können. Ob sie so thöricht sein können, daß sie vermeinen, die Rede habe andre Zieraten als verständliche Flüßigkeit. Was könnte abscheulicher lauten als theils deutsche Romanen, da z.E. »Einer unter den dichten Fichten die Ruhe lächzenden Glieder ausdehnt«; item »da man die Kleider arm und die Bethe reich macht« (wenn man schlafen geht); item »da die klare Darthuung zu Tag steht«, (wenn eine Sache offenbar ist); item, »da gar zu viel vorlustige Bezeigung auf eine Fehllust hinauslauft«, und dergleichen halb zauberisch lautende Redensarten mehr. Dahin gehören die abenteuerlichen neuen Wörter,
Der phantastischen Welt der Romane, in der die durchlauchtigste-Syrerin, das Fräulein Valiska, und Herkules und Herkuladisla so wunderbar hausten, stand die Wirklichkeit wie verlassen von der Poesie gegenüber. Der eigentliche Reiz dieser Romane war das Unmögliche, das gar nicht Existirende, sowohl in Gestalten wie in Ereignissen, und die Deutschen des siebzehnten Jahrhunderts hatten ihr Vergnügen daran, diese Abenteuer eines in die blaue Luft hineinsegelnden Lebens mitzuträumen. Das Wirkliche in diesem Jahrhundert war das Wüste und Unbehagliche, ein Getümmel von feindlichen Bildern, dem man zu entfliehen suchte, und so setzte man sich diese wesenlosen Gestalten einer romanhaften Weltordnung zusammen und bevölkerte magisch die fernen Räume hinter den Bergen. Dies verworrene Jahrhundert war gänzlich ohne Ideale. Sein Zerfallensein mit der Simplicissimus, den ein Musketier des dreißigjährigen Krieges, Samuel Greifensohn von Hirschberg, mit frischem Soldatensinn verfaßte (Mömpelgart, 1669.), behauptet in diesem Sinne seinen eigenthümlichsten Werth. Hier erhob sich ein keckes Sittengemälde auf dem nächsten Grund und Boden der Gegenwart, und trat der erträumten und fremdartigen Romanenwelt mit einheimischen Adam Olearius zu nennen, der in seiner orientalischen Reisebeschreibung die prosaische Darstellung für die Anschauung des Wirklichen bildete. Er schrieb die Geschichte der bekannten Reise nach Persien, die er mit der holsteinischen Gesandtschaft unternahm, und der auch der Dichter Flemming folgte. Seine Darstellung hält sich auf
Die merkwürdigste Mischform des ganzen Jahrhunderts ist Abraham a Sancta Clara, in dem sich alle Elemente des Wirklichen und Phantastischen seiner Zeit zu einer originellen und halbwahnsinnigen Gestalt verkörperten. Geyler von Kaisersberg und Fischart schienen in diesem wiener Moscherosch, in seinen wunderlichen und wahrhaften Gesichten Philander's von Sittewald (Straßburg 1650), die er nach den Sueños des Quevedo originell bearbeitete, mehr eine strafende und ernstgrollende Satire an, als daß er auf die Lachlust damit gewirkt hätte. Sein Buch ist für die Sittengeschichte in den Jahren des dreißigjährigen Krieges, für die Schilderung der Soldatengräuel des damaligen Deutschlands, in manchen Partieen von culturhistorischer Wichtigkeit. Sonst traf dieses Mitglied der fruchtbringenden Gesellschaft im Ganzen mehr den Ton der gebildeteren und eleganteren Lebenskreise, als der Pater Abraham, und zeichnete diese in ihren Thorheiten mit seiner scharfen Beobachtung und Menschenkenntniß ab. Seine Prosa ist reich an körnigen Ausdrücken und piquanten Schuppius, der in seinen »Lehrreichen Schriften« (Frankf. a.M. 1684. 8. 1462 Seiten) besonders manche magisterhafte Richtungen der Zeit und der damaligen Gelehrsamkeit lustig, und in einer zwar nachlässigen, aber doch frischgefärbten Schreibart, verhöhnte.
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Seine ernsthaften Schriften sind pedantisch genug, um seinem eigenen Spott anheimfallen zu können. –
Schottel und Opitz in Heyse's deutscher Grammatik, fünfte Auflage, S. 68.
Schuppius, in seinem »deutschen Lehrmeister, oder Discurs von Erlehrnung und Fortpflanzung der freyen Künste und Wissenschaften in teutscher Sprache« über diese Bestrebungen der deutschen Gesellschaften sagt: »Die hochlöbliche fruchtbringende Gesellschaft laße ich nach Standesgebühr salutiren, und sagen, daß ich dafür hatte, daß die Intention der hochlöblichen Stiftern dieser Gesellschaft gut gewesen sei; allein sie sollen selbst erwegen, ob die Mittel, die sie bisher gebraucht haben, die deutsche Sprache zu befördern, allenthalben dienlich seyn. Der dapfere Kriegsheld, der von N., hat seinen Esprit genugsam an Tag gegeben in Versezung des verfolgten David's und andern Schriften. Allein, daß er alle fremde Wörter, welche die Bauern nicht mehr für fremd halten, hat wollen deutsch geben, darüber hab' ich oftmals unter dem Lesen den Kopf geschüttelt. Unter Anderm nennet er sich an einem Orte Obergebietiger in Rostock. Wenn ich damahls alle Bauern in Mechlenburg gefragt hätte: wer ist Obergebietiger in Rostock? so würde es mir ergangen sein, wie jenem Superintendenten, der einen einfältigen Schulmeister fragte: wer der Kinder Noah Vater gewesen? – Ich versichere meinen hochgeehrten Herrn, daß darinn die Zierlichkeit der deutschen Sprache nicht bestehe, und wenn sie auch schon darinn bestünde, so frage ich die hochlöbliche fruchtbringende Gesellschaft, was mit diesen grammaticalischen Dingen, sonderlich mit der deutschen Orthographia, damit sich etliche Leute wollen groß machen, dem römischen Reich und der deutschen Nation gedient sey? Ich frage, wie die alten Deutschen geredet haben zu der Zeit, als Kayser Carol der Große das Schwerdt in Händen geführet und die Sachsen bezwungen hat? Im Hessenland ist ein Procurator gewesen, genannt der dicke Lorenz, welcher sich der Zierlichkeit im deutschen Reden sonderlich hat befleißigen wollen. Einsmals hatte er zu seinem Jungen sagen wollen: Jung, hole mir mein Messer. Damit er nun kund mache, daß ein Unterschied sei zwischen ihm und einem gemeinen Hessischen Bauren, hatte er gesagt: Page, bringe mir mein Brodschneidendes Instrument. Einsmals hatte er zu seiner Frauen sagen wollen: Frau, es hat neun geschlagen, gehe zu Bethe, ich habe noch etwas zu thun. Damit nun die Frau wiße, daß er ein Hessischer Cicero sei, hatte er gesagt: Du Helffte meiner Seele, du mein ander Ich, meine Gehülfin, meine Augenlust, das gegoßne Erz hat den neunten Ton von sich gegeben, erhebe Dich auf die Säulen Deines Cörpers und verfüge Dich in das mit Federn gefüllte Eingeweyde.«
Canitz singt:
Hofmanns Brunn und Lohn
steins Ströme fließen?
Das achtzehnte Jahrhundert begann mit einer rationalistischen Aufklärungsperiode für den deutschen Stil. Es war Frieden im Lande, die Gespenster des Kriegs- und Soldatenlebens waren von den deutschen Fluren gewichen und man begann das erschütterte Dasein einen Moment lang wieder einzurenken in regelrechte Formen. Die Verwilderung und Ordnungslosigkeit aller Zustände des abgelaufenen Jahrhunderts suchte nun den Gegensatz einer correcten und musterhaften Existenz in allen Dingen zu erreichen. Mit der Wohlhabenheit des Friedens erwachte wieder die Bequemlichkeit, der Genuß, und der Antheil an den Musen, soweit derselbe nicht etwa zu einem unbequem fallenden Pathos oder in die höheren Regionen führte. Gottsched's schon durch die Männer der sogenannten galanten und geistlosen Partei, die ihr Wesen vornehmlich in Hamburg und Niedersachsen
Gottsched, mit seiner ebenso correcten als tugendhaften Frau, Louise Adelgunde Victorie Gottsched. Dieses literarische Ehepaar und die deutsche Gesellschaft in Leipzig bezeichneten eine neue Epoche des Geschmacks, die nur durch die Gegenbewegungen, welche sie erregte, bedeutend und folgereich wurde. Gottsched ließ sich nicht erst mit wohlmeinenden Verbesserungen des Gongorismus seiner Zeit ein, sondern eröffnete sich seine Bahn durch eine nachdrückliche Polemik gegen die hoffmannswaldausche Manier, womit er in seinen Vorlesungen zu Leipzig debütirte. Die Pleißestadt wurde nun der Mittelpunct der correcten Literatur, mit der es Gottscheden ein bitterer Ernst war. Man kann ihm eine gewisse Größe der Persönlichkeit nicht abläugnen, wenn man bedenkt, welche Ausdauer, Charakterfestigkeit, Consequenz und Gelehrsamkeit er an die Aufgabe setzte, das ganze poetische Herz und Gemüth der Deutschen zu einer fehlerfreien Rechenmaschine abzurichten. Seiner Pedanterie, muß man sagen, fehlte es nicht an Begeisterung und Heroismus, um unerschrocken, Briefe beweisen, welche ein liebenswürdiges, feines, kluges, wißbegieriges Gemüth abspiegeln, und als Briefton aus damaliger Zeit trefflich genannt zu werden verdienen
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. Aber Gottsched, der sie in Danzig kennen gelernt hatte, als sie noch kaum sechszehn Jahre zählte, leitete sie früh zur Correctheit an, er nahm ihren für damalige weibliche Bildung ungewöhnlich regsamen Geist in seine Schule, und zog, nachdem er sie geheirathet, die erste Gottschedianerin aus ihr. Sie wetteiferten nun Beide in einer musterhaften aber unfruchtbaren Ehe mit einander in der Correctheit, wie sehr auch gerade die Correctheit sie hindern mochte, sich herzinnig zu lieben.
Aber auch Gottsched's Verdienste, namentlich die Reinheit seiner Diction, mit der er sich der Sprachmengerei gegenüberstellte, dürfen nicht übergangenHerder, in den Fragmenten zur deutschen Literatur, nannte ihn in dieser Beziehung einen ruhmwürdigen Goldfinder (nach der Bedeutung dieses Wortes im Englischen), der den Stall des Augias mit herkulischer Hand durchwässert und gereinigt habe. Seine bedeutende Kenntniß der altdeutschen Literatur muß jedoch Gottscheden eher zur Schmach, als zum Ruhme gereichen, wenn man bedenkt, daß er, im Besitz dieser alten Schätze, wie ein blödsinniger Geizhals lieber Hunger dabei litt, als sie für den Gebrauch des Lebens nutzbar und flüssig zu machen. Hierin ließ er gerade seinen Gegnern, den verdienstvollen Schweizern Bodmer und Breitinger, eine Waffe in den Händen, mit der sie den Sieg über ihn davontrugen.
Diese Schweizer führten den Kampf gegen das gottschedische Geschmacksverderben mit ebenso viel Patriotismus, als geistiger Ueberlegenheit der Kriegführung. Von den ältern deutschen Sprachdenkmälern, von denen Gottsched nur Sammlungen, aber im gottschedischen Sinne veranstaltet, machten sie den wirksamsten Gebrauch gegen Gottsched Bodmer studirte eifrig und mit Lust die alte, herrliche Sprache der Minnesänger, und stärkte das ermattete Nervenleben der deutschen Diction an diesen Urquellen des schwäbischen Zeitalters. Dazu fügte er die hochtönende Dichtersprache Miltons, und übersetzte das verlorene Paradies, um die Hülfstruppen der englischen Poesie gegen die französische und gottschedische Correctheit ins Feld zu stellen. Gottsched fragte freilich auch nach Milton nichts, und erklärte ihn von Leipzig aus in den Bann, sowie er sich auch über das Wunderbare in der Poesie, worüber Bodmer zur Rechtfertigung Miltons geschrieben, gravitätisch lustig machte. Er wollte auch die Teufel und Dämonen austreiben aus der deutschen Darstellung. In diesem Streite der beiden Parteien, der nun in helle Flammen ausbrach, glaubte Gottsched, auf seinen Professor Schwabe und seinen Doctor Triller gestützt, der ganzen Welt trotzen zu können. Aber Bodmer war ein heiterer und zugleich stahlgewappneter Mentor seiner Zeit, der sich, ungeachtet der Blößen, die seine eigenen Mängel darboten, nicht aus der Fassung bringen ließ, und mit klarem und scharfem Auge das Vorspiel, die zu dem Witzigsten gehört, was in dieser Gattung die deutsche Literatur hervorgebracht.
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Auch Liscov, der größte Satiriker des achtzehnten Jahrhunderts, der seinen ätzenden ironischen Genius in einer vortrefflichen Prosa leuchten ließ, kehrte Ironie noch keine eigenthümliche Bezeichnung kannte, sondern bloß Spott dafür setzte. –
Alle diese durcheinanderflackernden Lichter und Streifen am Literaturhimmel waren Zeichen, aber sie konnten noch nichts erfüllen. Der productive Genius, der sich jetzt des günstigen Zeitpuncts bemächtigen mußte, um neue Nationaltypen für Sprache und Geschmack hinzustellen, erschien in Klopstock, welcher der eigentliche Eroberer und Schöpfer der modernen Dichtersprache in Deutschland wurde, Eroberer, weil er die engen Gränzen erweiterte, welche ihm die Sprache seiner Zeit vorhielt. Was Opitz als verständiger Reformer begonnen hatte, vollendete Klopstock als umwälzendes Genie, auf einer tiefern und umfassendern Grundlage. Er ist das Genie der Sprache in diesem Jahrhundert, und wirkte nicht so sehr durch das Innere seiner Poesie, als durch die Formen derselben, mit durchgreifender Schöpfermacht. Klopstock Sprache seiner Zeit, die Klopstock vorzugsweise beherrschte, während Andern die Aufgabe zufiel, die Gesinnung, die Weltbildung, die Humanität und das Urtheil ihres Jahrhunderts neuzugestalten. Klopstock hatte herrliche Gefühle, ein reiches Dichterherz für Liebe und Freunde, schöne große Gedanken über Natur und Gott, doch brachte er es mit Allem diesen nur zu einem musikalischen Effect, zu einem tönenden Meisterstück der Sprache. Die Thränen,
Aber die Wirksamkeit dieser Sprache war gewaltig und beispiellos, und zeugte neues Leben in der ganzen Literatur. Die correcte Literatur hatte seit Opitz in der Trittmühle des Alexandriners am sichersten und regelrechtesten gearbeitet. Klopstock schlug durch seine polymetrische Behandlung der deutschen Sprache den Weg zu ihrer Umwandelung ein. Die Anwendbarkeit unserer Sprache auf den polymetrischen Numerus der griechischen und römischen keck voraussetzend, ließ er die deutsche Natur voll Begeisterung in diesen fremden Bewegungen walten. Zwar war er in der kunstreichen Bildung des Hexameters, durch den er die Alexandriner verdrängte, nicht um Vieles glücklicher, als seine übrigen Zeitgenossen, die darin mit den Quantitätsfähigkeiten der deutschen Sprache dilettirten,
anders denn als Prosa zu lesen verständen, da mehrere der lang angenommenen Sylben ebenso gut kurz gebraucht werden könnten, und umgekehrt. Auch hatte Gottsched seinerseits den Unterschied des Hexameters von der Prosa nicht einsehen können, was denn von dem Patriarchen der leipziger Correctheit nicht zu verlangen war, der sich schon deshalb mit der Messiade nicht einlassen konnte, weil auch Klopstock zu den Füßen Bodmer's gesessen hatte. Unter Denen aber, welche für Klopstock Partei ergriffen, befanden sich auch die Wolfianer, und der bekannte wolfische Vielschreiber G.F. Meier in Halle schrieb eine Beurtheilung der Messiade, die er einzeln erscheinen ließ. Denn obwohl Gottsched an der wolfischen Philosophie seinen Geist und seine Absichten genährt, so hatte diese Schule sich doch keineswegs mit ihm verschworen, und selbst seine Gegner, wie Breitinger, standen ihm mit wolfischen Ideen, die Kritik der Poesie darauf begründend, gegenüber. Gottsched konnte sich nicht mehr retten, noch half es ihm, seine Ohren zuzuhalten,
Klopstock's poetischer Stil ist eine kunstvolle Vereinigung aller sinnlichen und geistigen Elemente der Sprache. Sein großer Takt, Bild und Gedanke in ein gleichberechtigtes Verhältniß zu einander zu stellen, brachte die feinsten und originellsten Nüancen der Diction hervor, schuf Wörter und Zusammensetzungen, in denen die Grammatik nach der ideellen Anschauung sich merkwürdig formen mußte, und wirkte selbst im Kleinen und Einzelnen durch überraschende Handgriffe der Sprache, durch die Kunst der Uebergänge, durch Partikeln, namentlich aber durch die Vorsatzsylben, mit denen er seine Zeitwörter bildete. So werden durch Wörter, wie niederdonnern, herunterhallen, zujauchzen und unzählige andere, die mit antikem Anflug geformt sind, ganze Begriffe
Zeit der Bildung! und das Wort Bildung der Sprache ist beinahe als ein Losungswort anzusehen, das heutzutage Jedem auf der Zunge ist, Schriftstellern, Kunstrichtern, Uebersetzern, Weltweisen. Jeder will sie auf seine Art bilden; und Einer ist oft dem Andern im Wege!« Wieland schlug in seiner Abhandlung über die Frage: »Was ist Hochdeutsch?« – (Werke, Supplementb. 6. S. 326.) vor: die älteren Dialekte als Gemeingut und Eigenthum der ächten deutschen Sprache Caffarelli hat sich zum Herzog gesungen, wo man fast in jeder andern Sprache umschreiben müßte: Caffarelli hat sich durch sein Singen ein Herzogthum erworben; oder, der Höfling hat sich zum Minister getanzt; der Schalk hat sich aus dem Gefängniß gelogen u.a. Diese poetische und sinnliche Stärke des Verbums, die abstracter Umschreibungen überhebt, weist auf verborgene den Ring hat er mir gegeben, u.s.w., wo der Ton, so oft er ein anderes dieser sechs Wörter trifft, jedesmal eine völlig veränderte Gedankenreihe und Vorstellung bezeichnet.
Ueberblickt man diese Bewegungen des Jahrhunderts, so muß man mit einem seltsamen Gefühl auch Friedrichs des Großen gedenken, der noch im Jahre 1780, als er seine merkwürdige Abhandlung de la litérature allemande schrieb, sich nur von einer halb barbarischen Sprache umgeben sehen wollte, und das sprühende geistige Leben, in derselben nirgend gewahr wurde. Auf einer skeptischen Weltbildung fußend, für die der einheimische Zustand der Sprache und Literatur allerdings ungenügend und ohne Nahrung war, mühte sich der große Monarch noch am Ende seiner Tage auf eine fast rührende Weise ab, Verbesserungsvorschläge Wolf, der eine vortreffliche Schrift »über ein Wort Friedrichs des Großen von deutscher Verskunst« geschrieben, behauptet irrig, daß die Klagen über Friedrichs unpatriotische Sprachvernachlässigung erst dann lauter wurden, als man gelernt habe, in vernehmlicherem Deutsch zu klagen,
Friedrich der Große schlug in seiner Abhandlung de la litérature allemande vor, die deutsche Rede durch Uebersetzungen der Alten gedrungener und energischer zu machen. Er tadelte mit Recht die weitschweifige Schreibart der deutschen Schriftsteller und ihre Sucht, durch Häufung von Einschiebseln die Sätze in die Länge zu ziehn; am Ende einer langen Seite finde man oft erst das Verbum, auf dem der Sinn des ganzen Redesatzes beruhe; sie seien, anstatt reichhaltig und mannigfach zu sein, so gedehnt, daß man eher das Räthsel der Sphinx als ihre Gedanken errathen könne. Durch Uebersetzung des Thucydides und Xenophon, des Demosthenes, Marc-Aurel, Cäsar,en ein A hinten anzusetzen, Sagena für Sagen u.s.w., wodurch das Deutsche allerdings zu italienischen Melodieen sich heranschmeicheln könnte.
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Ihn wandelte freilich dabei sogleich die richtige Besorgniß an, daß, wenn auch der Kaiser selbst mit seinen acht Kurfürsten auf einem feierlichen Reichstag diese Aussprache durch ein Gesetz einführen wolle, es doch Caesar non est super Grammaticos, und das Volk bei seiner hergebrachten Mundart verharren würde. Bei solchen Vorurtheilen und solchen Conflicten, in denen sein fremdgebildeter Geist zu der einheimischen Nationalsprache stand, muß man Friedrich des Großen Individualität darin erkennen, daß er nicht in deutschen Lauten seine geistigen Bedürfnisse befriedigte. Schleiermacher sagt einmal sehr treffend über die sprachliche Bildung Friedrichs: »Unserm großen König waren alle feineren und höheren Gedanken durch eine fremde Sprache gekommen, und diese hatte er sich für dieses Gebiet auf das innigste angeeignet. Was er französisch philosophirte und dichtete, war 4
Das Urtheil, welches Friedrich in der Abhandlung de la litérature allemande, bei Gelegenheit des Götz von Verlichingen, über Shakespeare fällte, beweist freilich kaum die Möglichkeit einer wahlverwandten Hinneigung für das Englische. Dagegen gewährte Friedrich, wenn er auch in seinen Landen nichts für die Kunst deutsch zu schreiben that, doch Schreib- und Gedankenfreiheit, diese ersten Grundelemente alles guten Schreibens und Darstellens, und man litérature allemande in Ausführung gebracht hätte.
Oeuvres de Frédéric II. publiées du vivant de l'auteur T. 2. p. 87. (de la litérature allemande): »Il sera difficile d'adoucir les sons durs dont la plupart des mots de notre langue abndent. Les voyelles plaisent aux oreilles; trop de consonnes rapprochées les choquent, parcequ'elles coûtent à prononcer, et n'ont rien de sonore: nous avons de plus quantité de verbes auxiliaires et actifs dont les dernières syllabes sont sourdes et désagréables, comme sagen, geben, nehmen: mettez un a au bout de ces terminaisons et faites – en sagena, gebena, nehmena, et ces sons flatteront l'oreille.«
Die neue Dichtersprache, welche Klopstock gegründet, suchte sich noch entschieden von dem Sprachgebrauch der Prosa zu trennen. Klopstock wollte der Prosa, die er besonders in den Grammatischen Gesprächen so originell handhabte, keine eigentlich poetischen Freiheiten weder in der Diction, noch in der Wortstellung einräumen, und schrieb mit steinernem Griffel hartkantige, aber festausgebildete Sätze. Sein prosaischer Stil hat die rauhe Größe der Wahrheit, und sieht es auf den Effect der Ueberzeugung, nicht auf den Eindruck der Schönheit ab. Diese treffliche Prosa erstarrt jedoch bald in Monotonie und Einseitigkeit, da sich der Schreibende kein subjectives Genüge, keine Befriedigung von Phantasie und Gemüth, nach Herzenslust darin verstattet. Es fehlt ihr Licht und Schatten, Luft Jünglinge«, bald als »Greise«, bald als »Aufseher« und »Zuschauer«, »Freigeister« und »Aerzte« das Publikum fesselten, brachten eine gewisse Geschmeidigkeit in den Ausdruck des wirklichen Lebens, und machten die Sprache der deutschen Prosa flüssig. Eines eigenen Genie's der Prosa aber bedurfte es, um in ihr einen höheren Charakter zu schaffen, der Lessing.
Dieser sonnenhelle Kopf gewann seinen eigenthümlichen Einfluß auf die deutsche Literatur besonders durch den Geist der Prosa, der ihn durchdrang und in Bewegung setzte. Das scharfgeschliffene und zersetzende Wesen seines Genius, diese stillangeglühte Begeisterung des Verstandes, dies heimliche Dichten der Combination, diese leuchtende klare Ruhe in immerbewegter Gedankendialektik, waren schon als ein höheres Element von Prosa charaktergemäß in ihm vorhanden. Eben als prosaisches Genie wurde er der nothwendige Einschlag in die Bewegungen des Geschmacks und der Geistesbildung seines Zeitalters. Diese Gleichmäßigkeit der poetischen und prosaischen Bedürfnisse seines Naturells stellt in ihm einen helldurchleuchteten Charakter der Prosa dar, in dessen gestählter und von innen her erwärmter Gesinnung alle Vorurtheile gegen das Prosaische verschmolzen. Lessing nahm alle diese Elemente seines Wesens in seine Darstellung auf, ohne die Prosa poetisch, oder die
Die mehr kritische Schönheit und Vollendung, welche die deutsche Prosa durch Lessing erhielt, erhöhte sich zu einer plastischen und poetisch durchhauchten in den Kunstdarstellungen Johann Winkelmanns. Seine Sprache empfing von den Gegenständen, mit denen sie sich beschäftigte, die schönsten Eindrücke, und verräth die an den Kunstwerken eines glücklichen Menschenalters genährte und erheiterte Anschauung. Winkelmann gestaltete den deutschen Stil zu einem beweglichen Lebensgebilde, das, vor uns hintretend, einen 1
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Auf dieser Stufe künstlerischer Ausbildung war die deutsche Prosa zum ersten Mal fähig gemacht, der poetischen Anschauung mit aller Freiheit zu dienen. Der Unterschied von Poesie und Prosa, der sich sonst im Inhalt ebenso sehr wie in der Form festgesetzt hatte, wich der Macht des Inhalts, welcher jetzt in allen Formen der Literatur sich gleichmäßig zu regen begann. Die deutsche Production arbeitete nunmehr auf die Einheit von Poesie und Prosa hin, und erreichte ihre vollkommenste harmonische Verschmelzung zuerst im Werther, diesem ursprünglichsten Naturerguß der modernen skeptischen Herder, selbst in seinen wissenschaftlichen Untersuchungen, eine gewisse poetische und poetisirende Prosa geführt, die jedoch mehr in einer träumerischen und phantasirenden Manier bestand, mit der sein unruhiger und unbefriedigter Geist überall Blüthen herauszuschlagen suchte, sogar aus gelehrter Forschung. Aber Herder war kein Meister der prosaischen Darstellung, und mit Ausnahme seiner vortrefflichen Schulreden und mehrerer Partieen in den Ideen zur Philosophie der Geschichte, schrieb er einen zerlassenen, verschwommenen, bald mit zu dicken, bald mit zu verwaschenen Farben getünchten Stil. Goethe bildete sein Naturell frei und ungezwungen in die deutsche Darstellung hinein, und gab seiner Sprache überall das productive Gepräge seiner Persönlichkeit. Sein großer Welt- und Lebenssinn drückte sich in seiner
Wolf herrührt. Um die Würdigung der Schreibart Winkelmanns hat sich Joh. Schulze, der Mitherausgeber seiner Werke, verdient gemacht.
Wilhelm von Humboldt sagt in der Einleitung zu seiner Schrift über die Kawi-Sprache: »Die Poesie kann nur einzelnen Momenten des Lebens und einzelnen Stimmungen des Geistes angehören, die Prosa begleitet den Menschen beständig und in allen Aeußerungen seiner geistigen Thätigkeit. Sie schmiegt sich jedem Gedanken und jeder Empfindung an; und wenn sie sich in einer Sprache durch Bestimmtheit, helle Klarheit, geschmeidige Lebendigkeit, Wohllaut und Zusammenklang zu der Fähigkeit, sich von jedem Puncte aus zu dem freiesten Streben aufzuschwingen, aber zugleich zu dem feinen Tact ausgebildet hat, wo und wie weit ihr diese Erhebung in jedem einzelnen Falle zusteht, so verräth und befördert sie einen ebenso freien, leichten, immer gleich behutsam fortstrebenden der Roman, der eine so umfassende und elastische Formengebung hat, daß man zugleich die verschiedenen Elemente der Poesie, namentlich das Lyrische und Dramatische, darin verschmelzen sieht. So erstrebt er ein Totalbild der menschlichen Richtungen in jeder Ausdehnung, und die Prosa erscheint in ihm als das vereinende Gesammtorgan aller Zustände, sie mögen poetisch oder prosaisch sein. Die poetischen Elemente, welche den Roman hierhin und dorthin bewegen, muß die Darstellung an eine Einheit der das Märchen, welches der Aufzeichnung durch die Prosa von Natur kaum angehört, und aus so poetischer Anschauung erwachsen ist, daß man annehmen kann, die meisten Märchen seien ursprünglich in metrischer Form vorhanden gewesen, wenn sie nicht etwa bei ihrer schriftlichen Ueberlieferung absichtlich aus Poesie in Prosa umgeschrieben sind. Den schillernden lyrischen Farben des Märchenstils gegenüber muß der Romanstil seine stärkere reale Haltung zu behaupten suchen. Der Roman stößt in seiner Auseinanderlegung der Wirklichkeit auch auf das Ideal, bald tragisch, bald ironisch, aber er spielt nicht damit in lyrischer Trunkenheit, wie das kindische Märchen, der Roman bezeichnet das Mannesalter, welches von Bewußtsein erfüllt und mit bedachten Fortschritten auf das Höhere und Allgemeine, das vor ihm in der Ferne liegt, losgeht. Es wurde früher erwähnt, wie in den Romanen zu Ende des siebzehnten Jahrhunderts das Phantastische die Stelle des Idealen wunderlich genug Gellert bezeichnete in seiner langweilligen »schwedischen Gräfin« gewissermaßen die nüchterne Restauration dieser phantastischen Romanwelt, ohne zu einer idealen Behandlung gelangen zu können, da er nichts als das Muster eines eleganten und correcten Romanstils darin aufstellen wollte. Die Wirklichkeit des deutschen Lebens behielt lange ihr steifes und sprödes Zopfthum an sich, ehe sie in Goethe's Romandarstellungen der freiere Geist der Geselligkeit durchdrang. Rabener, dieser Satiriker im altfränkischen Menuettschritt, giebt die galante Conversationssprache seiner Zeit noch in aller Breite wieder, obwohl sonst sein prosaischer Stil wegen Schönheit und Regelmäßigkeit damals sehr beliebt war und nur einige tadelhafte Einflüsse des gottschedischen Geschmacks an sich trug. Welcher Abstand von dieser wohlgefälligen Sättigung in umständlichen Lebensformen zeigt sich aber plötzlich in den idealen Zerwürfnissen des Werther, dem alle bürgerliche Sprache und Einrichtung des Lebens zuwider ist! Der unklar begriffene Zwiespalt zwischen Ideal und Wirklichkeit malt sich hier in der höchsten poetischen sich selbst sogar erst, d.h. er will ein Höchstes seines Charakters hervorbringen. Er strebt sich von der Prosa seines
Dem Roman mit seiner Ausdehnung in die Breite und Ferne des Lebens steht die Novelle mikrokosmisch gegenüber. Die Wahlverwandtschaften mit ihren sittlichen Conflicten, die sich in die Gruppirung der Verhältnisse verstecken, tragen dem Stoffe nach mehr einen novellistischen Charakter an sich, aber die epische Behandlung läßt das Gepräge des Romans hervortreten. Die Novelle, die wesentlich aus den Verhältnissen sich erzeugt, wie der Roman aus dem Charakter des Individuums, ist eine prismatische Zusammendrängung der Wirklichkeit, mit Absicht eines bestimmten und schlagartig hervorzubringenden Effects. Die Lebensanschauung der Novelle ist nicht so universal und allseitig, wie im Roman, der deshalb einer gemessenen und ausführlichen Auseinanderlegung seiner Formen bedarf; die Novelle fängt ihre Verhältnisse Jean Paul an der unaufhörlich wogenden Dichterbrust seiner Subjectivität so voll mit Poesie genährt und getränkt, daß Alles, sobald er es darstellte, schon durch seine Diction in einer poetischen Illumination der Wirklichkeit sich zeigte. Die Romane von Jean Paul haben den neueren poetischen Novellenstil in Deutschland vorbereitet, der sich von der jeanpaul'schen Diction nur durch eine piquantere Auslautung wirklicher Lebens- und Zeittöne unterscheidet, und darum in vieler Hinsicht straffer, materieller, und weniger in der Luft schwebend genannt werden kann. Tieck, schien, unter dem Reflex individueller Meinungen und Combinationen. Das Unbefriedigende der Tieck'schen Novelle beruht aber darin, daß seine Lebensanschauung auf kein bestimmtes Ziel hinweist, sondern beständig in illusorischen und sophistischen Bewegungen schweben bleibt. Das Wesentliche in der Entscheidung seiner Novellen liegt entweder in der Beleuchtung, die ein grelles, wunderliches Licht erzweckt, oder im Zufall, in dessen Launen Tieck den eigenthümlichsten Abschluß für die Novellendarstellung sieht. Diese Grundansicht, die Wirklichkeit in der Novelle zu behandeln, erstreckt sich bei Tieck bis auf die sittlichen Verwickelungen, die er jedem poetischen Ungefähr preisgiebt, und worin, seinem eigenen Geständniß Novelle zuweilen auf ihrem Standpunct die Widersprüche des Lebens lösen, die Launen des Schicksals erklären, den Wahnsinn der Leidenschaft verspotten, und manche Räthsel des Herzens, der Menschenthorheit in ihre künstlichen Gewebe hineinbilden, daß der lichter gewordene Blick auch hier im Lachen oder in Wehmuth das Menschliche und im Verwerflichen eine höhere ausgleichende Wahrheit erkennt. Darum ist es dieser Form der Novelle auch vergönnt, die nicht mit dem moralischen Sinn, mit Convenienz oder Sitte unmittelbar in Harmonie stehn. Es läßt sich ohne Zweifel das Meiste und Beste im Boccaz nicht nur entschuldigen, sondern auch rechtfertigen, was Niemand wohl mit den spätern italienischen Novellisten versuchen möchte.«
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– Dies Verhältniß der Novelle zur ethischen Weltordnung bleibt auf der einen Seite problematisch genug, um so mehr da Tieck selbst in seinen neuesten Erzeugnissen bewiesen hat, daß er Moralprobleme der Gegenwart keineswegs ohne Bitterkeit und Parteilichkeit in dem Novellenspiegel aufzufassen versteht; Poetische ihrer Natur dadurch an den Tag.
Tiecks Novellenstil ist im Einzelnen oft sehr vernachlässigt und ungleich, im Ganzen ist er poetisch durchhaucht, und besonders in den rednerischen und dialogischen Elementen eigenthümlich ausgearbeitet. Müllner machte sich den Spaß, ihm märkische Provinzialismen in seiner Schreibart vorzuwerfen. Die Phantasie erscheint in Tiecks Prosa durch Reflexion gezügelt, und reißt nicht in dem Maaße die Alleinherrschaft über das Prosaische an sich, wie bei Jean Paul, der die griechische Einfachheit der goethe'schen Romanprosa in eine festlich gekleidete, absichtsvoll sich bewegende und mit orientalischen Perlen behangene Schöne verwandelte. Jean Paul bildete freilich das Plastische und Musikalische des Stils mehr als irgend ein anderer deutscher Schriftsteller aus, aber seine stilistischen Intentionen erscheinen dabei oft zu gemacht. In Jean Paul's Geist und Gedankentracht, obwohl aus eigner Seelenquelle schöpfend, bewegt sich sein Wahlverwandter Leopold Schefer, der sonst,
Findet die Prosa im Roman und in der Novelle ihren eigensten poetischen Wirkungskreis, so schwankt dagegen das Drama in ihrer Anwendung, sowohl auf dem Kothurn des Trauerspiels, wie auf dem Soccus der Komödie. Das griechische Drama war gebunden an seine Rhythmen, es hatte an bestimmten Stellen seine angewiesenen Formen, die den Inhalt systematisch umspannten, und die Sprache der Prosa nirgends einließen. Nur das jambische Sylbenmaaß des Dialogs hebt die vorgehende Handlung gewissermaßen aus den lyrischen Grundbestandtheilen der Dichtung so heraus, daß eine Annäherung an die Prosa des wirklichen Lebens dadurch hervorgebracht wird.
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Diesen Eindruck Engel sagte sogar damals (Mimik II. 112.): »In Deutschland hat man das versifizirte Trauerspiel längst begraben; wenn es noch hier und da, und gemeiniglich auf Befehl, gegeben wird, hat es nur wenig Zuschauer mehr; man ist Feind jener Declamationen und Tiraden, welche die Versification
der junge Tischlermeister sagt Tieck ebenfalls: »er halte die Form der Novelle dazu geeignet, manches in conventioneller, oder ächter Sitte und Moral Hergebrachte überschreiten zu dürfen, wodurch sie auch von dem Roman und dem Drama sich bestimmt unterscheide.« – Vgl. über den Unterschied von Roman und Novelle auch Karl Rosenkranz, in seinen »poetischen und ästhetischen Mittheilungen« (Magdeburg, 1827.) S. 11 fg.
Der Ineinsbildung von Poesie und Prosa in der productiven Literatur ist an Bedeutsamkeit gleichzusetzen das Verhältniß, welches die Prosa oder die Sprache des wirklichen Lebens zur Weltbildung und den gesellschaftlichen Bedürfnissen aufzeigt. Nur wenigen Schriftstellern verdankt die deutsche Darstellung eine höhere Entwickelung des Welttons, eine weltmännische Freiheit und Feinheit der Bewegung, die schon deshalb eine seltene oder künstlich hervorgebrachte Erscheinung unter uns ist, weil nur Schriftsteller literarisch, aber keine andern Einflüsse darauf zu wirken vermögen. Die gesellschaftlichen Mittel, unsere Sprache zu bilden und geschickt zu machen, sind bei uns gering anzuschlagen. Unsere Frauen haben nie einen Einfluß auf die deutsche Sprache gehabt, was sehr zu beklagen ist,
Der Einfluß Wieland's und Thümmel's auf einen gewissen weltmännischen Atticismus der deutschen Darstellung ist in unserer Literatur zuerst zu nennen. Das französische Element, das sonst nur immer eine Trennung unserer Sprache und Culturzustände bewirkt hatte, erhielt seine erste productive Verarbeitung in der deutschen Bildung durch Wieland, der, nachdem er eine ziemlich schwerfällige Thümmel da, dies wahrhafte Lebensgenie, dessen farbenstrotzender Pinsel sinnliche Lebendigkeit, gesellige Anmuth und einen feindurchbildeten Weltton in die Darstellung brachte. Thümmels Prosa hat meisterhafte Züge, voll poetischer Leidenschaft behält die Diction doch ihr harmonisches Maaß, und die Sprache schafft oft die treffendsten Bezeichnungen und Wendungen für neue Verhältnisse. Natur- und Reiseanschauungen fließen mit frischen Farben in seinen Stil über. Durch diese beiden Schriftsteller lernte die deutsche Sprache Vieles sagen, was ihr sonst fremd gewesen war, auch das Leichtfertige und Frivole, nicht Fürst Pückler läßt sich in vieler Hinsicht mit Thümmel vergleichen, obwohl der Verstorbene ein höher entwickelter Typus des Reisenden im mittäglichen Frankreich ist, sowohl was die breitere Grundlage der Zeitbeziehungen als der Gesellschaftsverhältnisse betrifft. Der vornehme Cynismus des Verstorbenen redet die Sprache einer bestimmten sociellen Sphäre, die sich darin abdrückt, die Sprache der exclusiven Gesellschaft, wie sie in ihrer bevorzugten Nonchalance sorglos und doch mit einer gewissen gemessenen Haltung sich gebärdet. Als Prosaist ist Thümmel vorzuziehen, er hat eine gewähltere Sprache, poetische Kraft der Schilderungen, feine Motive und Melodie des Stils, aber Pückler zeigt eine größere Individualität in seiner im Einzelnen vernachlässigteren Schreibart. An Unschuld und Durchtriebenheit, Ironie Goethe's Schreibart nach dieser Seite hin repräsentirt, mitteninne auf einer leise bewachten Gränzlinie. Thümmel und Pückler bewahren den Anstand in ihren Ausdrucksformen oder corrigiren seine innere Verletzung durch die äußere Grazie. Goethe behandelt das Zweideutige, wenigstens in seinen Romanen, lieber in Andeutungen mit unnachahmlicher Geschicklichkeit, als daß er seine Phantasie in Einzelausführungen glänzen ließe. Thümmel will oft glänzen, Pückler durch stimulirende Mittel reizen, Goethe will gefallen. Jene möchten die gesellschaftlichen Rücksichten ebenso gern durchbrechen im nämlichen Moment, wo sie ihnen schmeicheln, Goethe sucht sich immer in behäbig selbst, die häufige Verbindung der Adjectiva mit gar, Formen wie hüben und drüben und viele ähnliche, die eine bequeme Beschaulichkeit ausdrücken, sind durch ihn beliebt geworden. Auch fremde Wörter verschmäht Goethe in seiner Diction nicht, wo sie ihm in das gesellschaftliche Behagen des leichten Redeflusses hineinpassen. Die gesellschaftliche Schreibart der Deutschen leidet überall an Sprachmengerei, und wird, aller absichtlichen Mühe ungeachtet, viele ihr nöthigen Bezeichnungen sobald nicht darüber hinausbringen. Thümmel hat es in der Reinheit des geselligen Stils am weitesten Leibnitz einfällt, der in seinen »Unvorgreifflichen Gedanken« (§. 71.) sagt: »ich habe es zu Zeiten unsrer ansehnlichen Haupt-Sprache zum Lobe angezogen, daß sie nichts als rechtschaffene Dinge sage, und ungegründete Grillen nicht einmal nenne (inepta ignorat.) Daher ich bei denen Italiänern und Frantzosen zu rühmen gepflegt: Wir Teutschen hätten einen sonderbaren Probierstein der Gedanken, der andern unbekandt; und wann sie denn begierig gewesen etwas davon zu wissen, so habe ich ihnen bedeutet, daß es unsre Sprache selbst sey, denn was sich darinn Leibnitz selbst bemerkt zu seiner Zeit, in der von ihm angeführten Schrift (§. 112.): – »daß einige Sinn-reiche Teutsche Scribenten, und unter ihnen der sonst Lob-würdige Herr Weise selbst, diesen merklichen Fehler noch nicht abgeschafft (den auch etliche Italiener behalten), daß sie etwas schmutzig zu reden kein Bedenken tragen, in welchem Punct ich hingegen die Frantzosen höchlich loben muß, daß sie in öffentlichen Schriften nicht nur solche
Unter den Schriftstellern des achtzehnten Jahrhunderts, welche Weltbildung und feinen Gesellschaftston in ihren Werken ausprägten, ragte auch Justus Möser hervor, der Verfasser der osnabrückischen Geschichte und der patriotischen Phantasieen. Möser war zugleich Staats- und Geschäftsmann, und übertrug zuerst die Eindrücke eines ausgebreiteten Welt-und Menschenverkehrs, politischer und bürgerlicher Berührungen, in die deutsche Darstellung. Mit populairer Treuherzigkeit verbindet er die feinsinnigsten Motive, phantasiereiche Ausführung, witzige Beleuchtung, und ironische Zimmermann, der über den Nationalstolz, über die Einsamkeit und über Friedrich den Großen geschrieben, genannt werden, obwohl der vornehme Weltton, dem er in seinen Schriften nachstrebte, mehr in einer krankhaften Ausartung bei ihm er scheint. Zimmermann steht als ein Opfer der Eitelkeit auch in
Bedeutsamer in jeder Hinsicht für die hier angeknüpfte Betrachtung ist Peter Helfrich Sturz, der zu seiner Zeit einen großen Ruhm der eleganten und feinen Schreibart besessen, und diesen noch heut in einem eigenthümlichen Grade behaupten kann. Sturz war ein Mann der guten Gesellschaft, der in der großen Welt und auf Reisen sich vielfältig gebildet hatte, wie besonders seine Briefe aus Frankreich und England, die er im Jahre 1768 geschrieben, beweisen. Seiner sehr absichtsvollen Schreibart merkt man die fremde und namentlich in französischen Einflüssen gewiegte Bildung an, durch die er sich seinen deutschen Gesichtskreis erweitert hatte, in glänzenden Antithesen reihen sich seine Gedanken aneinander, Effecte, ein piquantes Colorit, hinreißende Wendungen, auffallender 1
In der hier verfolgten Richtung tritt Varnhagen
von Ense mit höherer und bewußterer Kunstvollendung ein, getragen von den reicheren Elementen, welche die moderne Anschauung und Zeitbildung einem solchen Alles verarbeitenden Geist zuführen mußte. Varnhagen
Unter den Erscheinungen der neuesten Zeit, welche hieher gehören, ist auch die gesellschaftliche Eduard Gans, namentlich in seinen »Rückblicken auf Personen und Zustände«, hier zu nennen. Gans hat in diesen Skizzen einen ächten humanen Salonton getroffen, der mit anziehender Leichtigkeit Menschen und Verhältnisse behandelt, übersichtlich und fertig Alles gruppirt, was sich der Beobachtung darbietet und in treffender Kürze, ohne nach der einen Seite zu tief, oder nach der andern zu weit zu gehen, die Gestalten zusammenfaßt und abfertigt. Die Einfachheit und Unbefangenheit seiner Schreibart ist kunstvoller, als sie in ihrem leichten Hinwurf für den ersten Augenblick erscheint. Der Charakter der ganzen Mittheilung hält sich in der Tonart des Gesprächs, man sieht den sprechenden, nicht den schreibenden Autor. Mit mehr koketten Manieren erstrebt Rumohr in seiner Darstellung den Saloncharakter, aber er erreicht die vielseitige Beweglichkeit und Harmlosigkeit von Gans nicht. Rumohr hat den vornehmen Stil einseitig cultivirt, und das goethe'sche Behagen, das er dazu genommen, sitzt ihm etwas steif und ist nicht recht verarbeitet. –
Briefen dar, in deren vielfältigen Sammlungen in der letzten Zeit ein wahrer Nationalschatz zu Tage gefördert worden. Seitdem Gellert als Reformator des deutschen Briefstils aufgetreten und ihn durch die Annäherung an das wirkliche und gesellige Leben von der Pedanterie des Ceremoniells möglichst zu emancipiren gesucht, begann die deutsche Subjectivität sich freier an dieser Form zu entfalten. Durch die Musterbeispiele, die Gellert aufstellte, würde freilich die Briefschreibekunst nie eine höhere Grundlage gewonnen haben, wenn es nicht in der nationellen Natur gelegen, mit mehr Ausführlichkeit und Behagen ihr Innerstes und Persönliches in Briefen zu ergießen, als es ihr im mündlichen Gespräch und Verkehr bequem ist. Die einzelne Gehaltlosigkeit vieler Briefsammlungen, deren Hervortreten unserer Zeit aufbehalten gewesen, kann im Allgemeinen die große Bedeutung nicht schmälern, welche diese Literatur der Briefe als Ueberlieferungen zu unserer Culturgeschichte, als Familiennachrichten aus dem innernMemoiren bei ihnen vertreten, doch wird, bei immer mehr entwickeltem Sinn für öffentliches und weltthümliches Bewegen, auch die Form, in der wir über uns selbst zu sprechen fähig sind, sich erweitern und plastischer ausbilden. Denn soviel ist gewiß, daß unsere Nachkommen wenigstens von der heutigen Generation keine solche Briefsammlungen überliefert erhalten werden, in der sich alle unsere Lebensbezüge und jeder kleine Winkel unserer Stuben- und Herzensverhältnisse ebenso abschilderten, als in jenen zumeist aus dem vorigen Jahrhundert datirenden Briefen mit so behäbiger Ausführlichkeit und Redseligkeit der Mittheilung geschieht. Die Sitten ändern sich hierin, und es scheint, daß wir heutzutage weder Zeit noch Laune und Stimmung mehr dazu haben, so viele und lange Briefe über uns und das Unsrige zu schreiben, als man sonst in Deutschland gethan. Die einsame Stille der Briefsituation im gesprächlichen Ergehen mit einem abwesenden Gegenstande sagte aber der ganzen Dialog konnte dagegen nie eine recht eigenthümliche, natürliche Form gewinnen, am allerwenigsten, wo er mit künstlicher Nachbildung Plato's zum Relief wissenschaftlicher Untersuchungen dienen sollte. Solger hat in seinem Erwin ebensowohl wie in den philosophischen Gesprächen, was die Form anlangt, nur todtes Maschinenwerk geliefert. –
Eine andere Herausbildung des individuellen Nationallebens in der Darstellung geschieht durch die Beredtsamkeit, welche Wilhelm von Humboldt
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sehr treffend eine Verknüpfung der Prosa mit dem Volksleben nennt. Doch steht das moderne Leben nach dieser Seite abgeschnitten da, wo im Alterthum große Zusammenhänge stattfanden. Die antike Beredtsamkeit war allerdings mit dem Nationalleben so eng durchdrungen, daß man, wie in der Volkspoesie, gewissermaßen eine mythische Periode derselben annehmen kann, wo es keine literarische Verbreitung der Redekunst gab, sondern Herder eiferte in seinen Fragmenten zur deutschen Literatur (dritte Sammlung S. 359 fg.) gegen die ciceronianische Affectation der deutschen Kanzelredner. »Wo – ruft er aus – schleppt sich die Sprache mehr als auf den Kanzeln? Hier, wo man das Verständliche des Vortrages so oft darein setzt, mit einem Schwall von Worten nichts zu sagen, den Perioden in seine fürchterlichen Glieder zu ordnen, um einen panischen Schauder einzujagen. Wie oft hört man einen Gedanken nach diesem Zuschnitt: ›Wenn wir uns umherschauen – wenn wir – wenn wir weil es – so werden wir gewahr, daß die sich nach dem Latein gebildet, daß der periodische Ceremonieenzwang, der in Schulen von lateinischen zu deutschen Chrien steiget, noch manchmal bei den besten Gedanken durchblickt.« –
deutschen
Museum, St. X. 1781. den der Staatsminister von Hertzberg auf Veranlassung einer Anfrage, warum Sturz in der Schrift sur la litérature allemande gar nicht erwähnt worden, geschrieben; wieder abgedruckt bei L. Meister, Friedrichs des Großen wohlthätige Rücksichten auch auf Verbesserung teutscher Sprache und Literatur (Zürich, 1787.) S. 85. fg.
Das Verhältniß der Prosa zur Wissenschaft ist noch zu bezeichnen übrig. Die Form der Wissenschaft steht ebenfalls in einem tiefen und eigenthümlichen Zusammenhang mit dem Geist der Sprache, und wenn sie sich demselben entfremdet und an zünftige Formeln und gelehrte Abstractionen verfällt, so ist es ihre Schuld. Der wissenschaftliche Geist ist auf seinem Gebiete einer ebenso hohen und ursprünglichen Diction fähig, als der poetische auf dem seinigen, nur gemäßigt nach den verschiedenen Elementen, auf denen beide ruhen. Plato und Aristoteles können die Begründer der wissenschaftlichen Diction genannt werden, obwohl sie Beide auf entgegengesetzten Polen die zwei 1
Das poetische Gestalten der Erkenntniß und Forschung bei Plato tritt zu entschieden als Leistung des Talents und der Individualität auf, um als eine Norm wissenschaftlicher Behandlung im Allgemeinen zu wirken, doch ist das dialektische Wesen der Untersuchung in den platonischen Dialogen bestimmt ausgebildet worden und hat die Darstellung der Wissenschaft seitdem beständig bewegt. Aristoteles dagegen stempelt in seiner strengen Aneinanderreihung des Thatsächlichen und Gedankenmäßigen die eigentlich wissenschaftliche Epoche, in welche die Schönheit des griechischen Lebens auslief, und worin selbst die Grazien der frei umherwandelnden Speculation, die sonst in Griechenland in Gärten und Hainen ihren Gedanken nachgehangen, methodisch gefangen und in einen begriffsmäßigen Zusammenhang eingeordnet wurden. In Aristoteles begründete sich die strenge Sprache der Wissenschaft, die in deren Fortentwickelung als wesentliches und leitendes Element Görres, in der die Wissenschaft wie in eine brennende Zauberwüste voll magischer Lichter und Schatten versetzt steht. Die Erkenntniß malt sich hier in einer Fata Morgana von Erscheinungen aus, die durch ein wunderbares, wenn auch auf dem Kopf stehendes Luftbild hinreißt, wo sie nicht überzeugen kann. Diese trunkene Mischung der Poesie mit der Wissenschaft ist verwirrend für dieselbe, weil sie nicht, wie in Plato, zu einer plastischen Gestaltung und Durchdringung kommt, sondern gewissermaßen auf der Stufe subjectiver Verzückung bleibt. Einen modernen Ableger der platonischen Dialektik stellt dagegen die Sprache Schleiermacher's dar, in ihren rein wissenschaftlichen Darstellungen häufig peinlich und ohne den idealen Schmelz, den Plato's höhere poetische Natur selten verliert, aber in der Weihnachtsfeier, den Monologen und vielen Predigten, besonders den frühern, oft meisterlich und voll innerer Springkraft. Unabhängiger von bestimmten antiken Einflüssen, aber von dem Geist des Alterthums und dem erhabenen Sinn seiner Wilhelm von
Humboldts vielleicht die gediegenste und großartigste, zu der es die deutsche wissenschaftliche Diction bisher hat bringen können, und die selbst auf dem trockenen Felde grammatischer Untersuchungen eine immer rege Geistesbewegung verbreitet. Die Schreibart dieses tiefsinnigen Forschers ist ebenso würdevoll als natürlich und einfach, und weiß mit Leichtigkeit das Einzelnste in die höhere Verbindung mit dem Allgemeinen zu rücken. Als eigenthümlicher Meister, mit noch mehr poetischen und modernen Stoffen der Darstellung gefärbt, ist neben ihm sein Bruder Alexander von Humboldt zu nennen, der zugleich die Gewandtheit und den Faltenwurf des Weltmanns mit wissenschaftlicher Behandlungsart verbindet. Sein Stil besitzt viel originelle Grazie, doch hat er auch manche französische Einflüsse in sich aufgenommen. Eine wahrhaft poetische Bedeutung aber erreicht er in seinen Naturschilderungen, die oft wie mit neuen Sprachorganen reden. –
Die ächte Sprache der Wissenschaft wird sich nicht leicht unabhängig von der philosophischen 2
bemerkte, daß bei den Engländern und Franzosen die scholastische Methode zu philosophiren darum abgekommen sei, weil diese Nationen schon früh in ihrer eigenen Muttersprache philosophirt hätten, wodurch dem Volke und sogar den Frauen Zugang zu solchen Dingen eröffnet worden sei. Die strengere wissenschaftliche Speculation in Deutschland hat freilich die Stufe der freien Darstellungskunst, zu der sie Leibnitz hinüberführen wollte, nur in wenigen Ausnahmen erreichen können. Wilhelm von Humboldt sagt in seiner Einleitung zur Kawi-Sprache Fichte's und Schelling's Schriften, und, wenn auch nur einzeln, aber dann wahrhaft ergreifend, in Kant. Die Resultate factisch wissenschaftlicher Untersuchungen sind vorzugsweise nicht allein einer ausgearbeiteten und sich aus tiefer und allgemeiner Ansicht des Ganzen der Natur von selbst hervorbildenden großartigen Prosa fähig, sondern eine solche befördert die wissenschaftliche Untersuchung selbst, indem sie den Geist entzündet, der allein in ihr zu großen Entdeckungen führen kann.« Diese Durchdringung des allgemeinen productiven Geistes mit dem philosophischen und wissenschaftlichen Stil kann allerdings als der Hegel, sind die scholastischen Bestandtheile der Diction, wenn auch neu und originell verschmolzen, wieder vorherrschend. Wenn der rednerische Fichte als der Rhetoriker, und Schelling mit seiner genialen Schreibart als der Dichter unter den Philosophen erscheint, so sucht der aristotelische Hegel dagegen die strengste philosophisch gelehrte Behandlung auch im Stil zu behaupten. Dennoch erreicht er in seiner eigenthümlichen Manier auch eine großartige und erhabene Darstellung, namentlich in der Phänomenologie, und in der Logik, wo die festgeschlossene und geharnischte Sprache in markigen Gebilden auftritt. Andere Partieen seiner Philosophie sind schlotterichter ausgearbeitet, und am allerwenigsten gelingt es ihm, wo er versucht, populaire Anschaulichkeit für die Vorstellung zu geben, wie an vielen Stellen seiner Vorlesungen. Unter seinen Nachfolgern, welche sich die Mission haben angelegen sein lassen, seine Philosophie zu verarbeiten, hat Karl Rosenkranz ein bedeutendes
Inwieweit die philosophische Darstellungskunst zu einer populairen Form für den Inhalt der Philosophie ausgebildet werden kann, stellt sich als die wichtigste Frage bei der Schreibart der Speculation dar. Die bedeutsamsten philosophischen Ideen sind am Ende geläufige Thatsachen des Bewußtseins geworden und haben sich in die currente Anschauungsweise unwillkürlich umgesetzt. Der Begriff durchbricht die Formeln des Systems, und verbreitet sich, auf die Fortbewegungslinie der Geschichte tretend, in die Vorstellungen des Lebens. Die ächte Popularität wird in der productiven Flüssigmachung des philosophischen Inhalts bestehen und auf diese Weise dürften wohl die abgezogensten Begriffe im Genius eines großen Philosophen eine populaire Form gewinnen können. Schelling war durch seine poetische Natur dieser philosophischen Popularität am nächsten gekommen, aber seine sinnlich lebensvollen Schiller in seinen philosophischen Abhandlungen die Sandsteppen der kantischen Kategorieen durchschoß, boten zwar oft ein prachtvolles, wenn auch schwer zu übersehendes Schauspiel, aber es war nicht die richtige Begegnung des productiven Geistes mit der Philosophie, um dieser die höchstvollendete Darstellung zu erringen. F.H. Jacobi war auf dem Wege, der Philosophie eine treffliche, ächt deutsche Prosa zu gewinnen, und in seinen klaren Gedankenentwickelungen bebten leise die geheimen Saiten seines poetischen Herzens durch, aber was ihm fehlte, war die wissenschaftliche Großartigkeit, deren der philosophische Stil nicht ermangeln darf, für die aber Jacobi ein zu weibliches Naturell hatte. Eine merkwürdige Mischung poetischer und philosophischer Natur stellt der sibyllinische Hamann dar, der alle Geheimnisse und Zauberkünste der deutschen Sprache kennt, aber sie mit allerlei fremdartigen und magischen Zuthaten Hippel den Widerstreit eines zu gleicher Zeit poetischen und philosophischen Naturells, welcher sich in beständiger Fluctuation nach diesen zwei Seiten hin durch seine Darstellungen bewegt. Seine poetischen Schilderungen gerathen ihm oft zu philosophisch, der Gedanke hängt seiner Phantasie einen Schwerestoff an, und seine philosophischen Betrachtungen schlagen gern in die Region der Träume über; ein Conflict, der auch Herder's wissenschaftliche Sprache so schwankend machte. –
Geschichte, in der das Ideelle als Thatsächliches erscheint. Die Darstellung der reinen Ideen wird immer mit formalistischen Schwierigkeiten zu kämpfen haben, ehe sie zu einem productiven Guß und zu einer Einheit sich verschmilzt. Die Darstellung der gegebenen Thatsachen aber steht von vorn herein in einer freieren und heitern Sphäre und läßt dem individuellen Talent der Behandlung einen größeren Spielraum. Die historische Prosa hat sich in Deutschland nur selten der höchsten Vollendung angenähert, und es fehlt ihr der sichere nationelle Takt der antiken Geschichtschreibung, der nur aus einem großen und in sich beschlossenen Volksbewußtsein hervorgeht. Dieser charakteristische historische Ton durchzieht bei den Alten selbst ihre Compendien der Geschichte mit Lebensbedeutung. Für die Deutschen ist es schwer, überhaupt einen eigenthümlichen Ton in der Geschichtschreibung zu treffen, und wenn sie der strengpragmatischen Langenweile oder der politisch kannegießernden Manier aus dem Wege gegangen sind, haben sie sich mit unnützen Raisonnements das Johannes von Müller, der in der historischen Behandlung für Viele den Ton angegeben. Müller bildete seine Schreibart mit außerordentlichem Studium und sehr genauem Bewußtsein, und man kann sie ein Mischproduct der Alten und der Engländer nennen, zu einer originellen Manier verbunden durch seine hinzutretende geistige Eigenthümlichkeit, doch hat auch die französische Sprache, in der er erzogen worden, einen wichtigen Einfluß auf seinen Stil gehabt, vorzüglich in der Satzbildung. Welche Mühe sich Johannes von Müller in der Bildung seiner Darstellung gegeben, ist interessant aus seinen Briefen, wo er sich mehrfach darüber äußert, zu ersehn. Anitalienische Sprache; und soweit ist meine Sorgfalt gegangen, daß ich an den meisten Orten den übelklingenden Zusammenstoß solcher Consonanten, welche einander verschlucken, der v und f, der d und t, der ch und ck, vermieden habe.« – Den Stil des Johannes von Müller lediglich auf den Tacitus zurückzuführen, ist ein ziemlich verbreiteter Irrthum, dessen er sich selbst häufig zu erwehren gesucht hat. Im Jahre 1781 schrieb er über seinen Stil Folgendes an seinen Bruder: »Seit mehr als fünf Jahren hab' ich Tacitum nicht gelesen; gleichwohl hat einer neulich gesagt, ich wäre Tacito Tacitior. Ich halte dafür, daß die Kürze meiner Schreibart von der Gewohnheit herkommt, Alles 3
, in dem er Cäsar und Macchiavell für die größten Muster der Geschichtschreibung erklärt: »Die großen Muster der alten Geschichtschreibung deutsch zu liefern, ist ein wahrlich ungemeines Verdienst, eine Erneuerung dessen, welches sich Luther durch die Bibelübersetzung um die Sprache erwarb. Erst dann wird man erkennen, wie viel in ihr liegt, was sie auch hierin vermag. Nur würde ich vielleicht nicht mit Tacitus anfangen; er ist aus den Zeiten des von der ersten Einfalt schon ins Gekünstelte sinkenden Geschmacks. Ich fürchte, wir würden uns bald zu viel zieren, oder vielmehr Concetti in Bande pressen, bei denen dem Leser nie ganz wohl ist. Beginnen wir lieber mit Julius Cäsar's majestätischer Eleganz, mit Xenophon's goldreinem Honig, mit Herodot's Grazie;
Indeß scheint Johannes von Müller doch, unbewußt oder geflissentlich, übersehen zu haben, was er dem Tacitus verdankt und worin dessen eigentliche Größe und ewige Bedeutung für die Geschichtschreibung beruht. Wenn es auch bei Müller nicht jene Anwandlung von Eifersucht war, in der man wohl öfter die Copie gegen ihr Original sich auflehnen sieht, so konnte ihn doch der Aerger über häufige und unverständige Vorwürfe der Nachahmung leicht bewegen, sich der tacitischen Schreibart gegenüber für eigenthümlicher zu halten als er war. Thomas Abbt hatte in seinem Fragment der portugiesischen Geschichte und einigen andern Aufsätzen dem Tacitus am genialsten nachgeahmt, und mit einer größeren Wahlverwandtschaft des Naturells, Ranke in demselben Genre vortreffliche Töne angeschlagen, jenen coupirten Stil eigenthümlich und geistvoll handhabend, ohne im höheren Grade originell zu sein. Seine rasche pointirte Sprache ist für die historische Portraitmalerei geschickt, zu spröde aber für den Fluß und Zusammenhang der Begebenheiten. Mit genialem Raisonnement durchdringt und verbindet Leo die Thatsachen und stellt sie unter eine scharfe, aus dem Gedanken hervorgehende Beleuchtung, ohne sich im Einzelnen des Stils Mühe mit seiner Darstellung zu machen. Seine Schreibart hat zuweilen etwas Burschikoses und überläßt sich einem geistreichen Cynismus, dem man freilich oft die allertreffendsten Bezeichnungen nicht abläugnen kann, doch finden sich auch, namentlich in seiner italienischen Geschichte, objective Darstellungen von wahrhaft historischer Kraft und Würde. Zur Einfachheit und Ruhe der Alten, an Xenophon erinnernd, ist Varnhagen von Ense in seinen Biographieen und historischen Skizzen zurückgekehrt, dem Gegenständlichen sich anschmiegend, ohne in sauberster Ausmalung
Die politische Prosa konnte in Deutschland noch bei weitem weniger dahin zielen, sich einen Nationaltypus zu erschaffen, als die historische, denn was in dieser noch durch wissenschaftliches Bestreben erreicht und nachgeahmt zu werden vermag, muß für jene aus dem unmittelbaren Leben entspringen, wenn es überhaupt wirksam und charakteristisch sein soll. Die römische Prosa bildete sich am meisten zum Ausdruck eines politischen Volkscharakters. Die politische Prosa der Alten hat ihren nationellen Hintergrund an der öffentlichen Beredtsamkeit, die moderne müßte dagegen durch die Debatte gepflegt werden. Für die moderne Politik fehlt ein Volksbuch, wie sie für die Religion in der Bibel gegeben ist, wo sie zugleich in der modernen Sprachschöpfung, die sich durch Luther an sie knüpfte, die bedeutsamsten Ausdrücke des Nationallebens gründete. Friedrich der Große beabsichtigte auch im preußischen Landrecht ein politisches Volksbuch, das nach dieser Seite eine nationale Grundlage gewähren sollte. Eine immer Hardenberg's um eine schöne, klare und deutliche Gesetzabfassung wären bei einer umfassenderen Berührung dieses Gegenstandes vorzüglich herauszuheben. Die Klippen, an denen die Sprache der Gesetze noch immer scheitert, sind aber der Canzleistil, der so viel zähe Traditionen in sich hat, daß es ihm schwer wird, sich vernünftig reformiren zu lassen.
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Was jedoch die deutschen publizistischen Schriftsteller anlangt, so sind ihre Reihen dünn und ihre Gestalten meistens dürftig, und ich weiß keinen zweiten zu nennen, der so wie Friedrich von Gentz hervorragte, durch welchen die Prosa der Kabinette eine künstlerische und ideale Höhe erstieg. Auch in
Die Einflüsse der politischen Verhältnisse und Wirren auf den Stil haben sich in der letzten Zeit vornehmlich in der kritischen Schreibart mehrerer Schriftsteller auf eine bemerkenswerthe Weise gezeigt. – Die ästhetisirend kritische Manier, welche durch die Schlegel'sche Schule begründet worden, genügt heutzutage dem Geist nicht mehr, der sich an der Kritik einen Ausdruck zu geben sucht. Der gleißende ästhetische Firniß, mit dem A.W. Schlegel seine Schreibart überwarf, ist jetzt unwirksam Friedrich Schlegel, der oft erhabene Großbauten des Periodenstils unternimmt und die seltene Länge und Fülle seiner Satzbildung doch zur Harmonie zu meistern versteht. In der ästhetisirenden Manier der Schlegel'schen Schule fuhr Franz Horn fort, ein sentimental humoristisches Naturell und jean-paul'sche Anflüge hinzufügend, auch in seinem Stil, der oft eine vortreffliche Durchbildung hat, mehr für ein Frauenpublikum der Kritik geeignet. – Die neueste Kritik befand sich meistentheils immer nur auf dem qui vive? und nahm dadurch einen unruhigen, die literarischen Zwecke überschreitenden Charakter an. Dagegen ist die feine Gränzlinie in Varnhagen von Ense's kritischer Behandlung als Studium zu empfehlen, dessen Einwirkung sich bei Heinrich Laube zeigt, der in seinen »modernen Charakteristiken« einen anziehenden, gesellschaftlich conversirenden Ton getroffen. Mehr didaktisch conversirend, ein moderner Peripatetiker, geht Karl Rosenkranz
Gutzkow, nur zu sehr aller Einflüsse der Phantasie und des Gemüths auf den Stil sich enthaltend, Lessing'schen Kraftwirkungen nach, und sucht namentlich in seinem Buch »Goethe im Wendepunct zweier Jahrhunderte« (gedruckt in Berlin 1836.) eine stählerne Festigkeit der Darstellung zu erreichen, der es bloß an Melodie gebricht. Eine elegante Mitte zwischen poetischer und kritischer Behandlung hält F.G. Kühne, die Eigenthümlichkeit seines Gegenstandes tief ergreifend und die Tonart der Darstellung danach abmessend. An rednerischem und durchdringendem Feuer halten sich Wienbarg, Gutzkow und Wolfgang Menzel das Gleichgewicht. Productiver ist die kritische Schreibart von H. Heine, oft weniger im Einzelnen der Diction, als in der Behandlung und Auffassung. Am meisten künstlerisch ausgearbeitet aber zeigt sich Börne's Stil, ursprünglich von jean-paul'scher Diction herkommend, die er merkwürdig mit einem skeptischen Naturell verschmolz, später aber sich vernachlässigend. –
de stilo philosophico Nizolii (Opera, ed. Dutens, Tom. IV. p. 48.)
welchen Friedrich der Einzige verwünschte, und Joseph der Einzige verbot, noch an vielen Orten herrscht, und wie ist er auszurotten? Von F.C. Chr. Link. (Nürnberg 1794.)