Zur Auswahl oberägyptischer Städte in den Ortsnamenlisten der sogenannten Onomastika : Strukturanalyse eines (?) Texttyps

Auflistungen von ägyptischen Ortsnamen finden sich in kultopographischen Kompendien, Hymnen, administrativen Kompositionen und nicht zuletzt den sog. Onomastika. Obgleich diese Texte von fundamentaler Bedeutung für die Bestimmung des emischen Blickwinkels auf Urbanistik des Niltals sind, basieren auch rezente Diskussionen auf den Ergebnissen in A. H. GARDINERs Ancient Egyptian Onomastica (Oxford 1947), der die Grundlage dieser Texte in einer Tradition von Wortlisten aus der Wissensliteratur verortete. Anhand einer kontextorientierten Strukturanalyse problematisiert der vorliegende Beitrag die Prämissen dieser These. Welche konkreten Verwendungskontexte liegen den einzelnen Ortsnamenlisten zugrunde und wie wirken sie sich auf ihre Komposition aus?
Grundlage für die Überlegungen bietet eine Neubearbeitung der betreffenden Liste im sog. Onomastikon aus dem Ramesseum (P. Berlin 10495, Nr. 171–216). Ein Vergleich mit jüngst edierten Auflistungen von Ortsnamen aus der 18. Dynastie und eine Neuanalyse der aufgezählten Toponyme legen nahe, dass der Text aus der administrativen Praxis der südlichen Gaue stammt. Somit dürfte dieses Manuskript nicht den ersten Beleg für „catalogues of things arranged under their kinds (GARDINER 1947, Bd. 1, 5)“ im GARDINERschen Sinne darstellen, sondern erst das jüngere Onomastikon des Amenemope aus dem späten Neuen Reich. Diese funktionale Neubestimmung hat weitreichende quellenkritische Konsequenzen, da die Ortsnamenlisten bis ans Ende des Neuen Reiches demnach keinen älteren Zustand eines abstrakten Ur-Textes, sondern die realen (kult-)topographischen Gegebenheiten widerspiegeln dürften.